„Die Freiheit eines Christenmenschen“

„Freiheit“ ist ein vielschichtiger Begriff und wird für verschiedene Bereiche angewendet:

Politisch betrachtet wird der Begriff Freiheit angewendet zum Beispiel, wenn es um Meinungsfreiheit, Reisefreiheit und Selbstbestimmung des Bürgers geht. Vor allem geht es um Rechtstaatlichkeit, was dem einzelnen Bürger Rechtssicherheit gegenüber Mitbürgern und Schutz vor Willkür von Vorgesetzten oder staatlichen Behörden geben soll. Im Mittelalter war dieses Recht dem Adel und den freien Bürgern vorbehalten.
Im sozialen Sinn bedeutet Freiheit Ungebundenheit von anderen Menschen, so dass jeder über sein eigenes Schicksal selbst entscheiden kann, ohne Eltern, einen Vormund oder andere Personen. Nach den staatlichen Gesetzen erreicht ein Mensch diese Freiheit mit der Volljährigkeit.
Freiheit im ethischen Bereich bedeutet, dass jeder das tun und lassen kann, was er selber für gut und richtig hält und will, ohne dass ein aufgezwungenes Moral-Korsett ihn einengt.
Und im psychologischen Sinn geht es zum Beispiel um die Freiheit des Einzelnen von inneren Bindungen, von seelischen Verletzungen aus der Vergangenheit, von Ängsten und Zwangsvorstellungen.

Die Theologische Betrachtungsweise hat Auswirkungen auf alle Bereiche.

Im neutestamentlichen Griechisch steht für „Freiheit“ das griechische Wort „Eleutheria“.

In der griechischen Antike

hatte Freiheit vor allem politische Bedeutung. Gemeint war die Freiheit der Vollbürger im Gegensatz zu den Sklaven. Jemand ist sein freier Herr, zum Beispiel als Freier geboren oder als Freigelassener. Er hat dadurch freie Verfügungsgewalt über sich selbst. Für Aristoteles gehört der Freie zur „polis“, zur Stadtgemeinschaft. Allerdings gehört für ihn das Gesetz als Bewahrer und als Grenze der Freiheit unbedingt dazu.
Später wird Freiheit auch vereinzelt als Gesinnung angesehen. Sehr ausgeprägt ist dieses Verständnis in der Stoa, einer philosophischen Strömung in der griechischen Antike um 300 v. Chr.. Frei ist danach der, der unabhängig von weltlichen Dingen wie zum Beispiel von Leidenschaft, Habgier und immer gleichmütig lebt. Ebenso gewinnt auch das ethische Verständnis an Bedeutung hinzu. Ein freier Mensch ist edelmütig, freigiebig, sich selbst beherrschend. Freiheit wird nicht mehr nur als Recht verstanden wie in der Antike, sondern ist handlungsorientiert. Der Freie lebt richtig.

In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta

ist Freiheit eine Gabe Gottes, die nur in Verbindung mit Gott erhalten bleibt. Das gilt für die Freiheit des Volkes, des Einzelnen und sogar der Sklaven. Die Gabe muss gelebt und erhalten werden durch die Beziehung zu Gott und durch das Handeln nach Gottes Willen. Wenn Gott aufgegeben wird, wird auch diese Freiheit zerstört. Als beispielhaft für den Verlust der Freiheit durch die Abwendung von Gott gilt der Verlust der Eigenständigkeit des jüdischen Volkes, oder das jüdische Bürger dauerhaft zu Sklaven wurden und nicht, wie es das Gesetz vorschrieb, nach 6 Jahren freigelassen wurden. Später wird Freiheit auch im politischen Sinn verständen als Freiheit, die erkämpft wird, zum Beispiel gegen Besatzungsmächte.

Im Neuen Testament

finden wir die Wörter „Eleutheria“ und „Eleutheros“ (frei) einmal bei den Synoptikern, in Joh. 8, 32-36 und vor allem in den Briefen. Das Wort hat im Neuen Testament keine politische Bedeutung, auch nicht als Verfügungsgewalt über sich selbst, sondern es bezeichnet die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes“: die Unabhängigkeit gegenüber Gesetzen und vom Versuch, sich durch Einhalten der Gesetze Gottes Zuwendung und Gnade zu verdienen; die Unabhängigkeit von Leidenschaften und menschlichen Eigenschaften wie Neid, Eifersucht, Missgunst, Gier; die Unabhängigkeit von allen irdischen und überirdischen Mächten.

Das spezifisch neutestamentliche Verständnis des „in Christus Freien“ ist nicht der Gegensatz zum Sklaven/Knecht, sondern dass er als Freier zugleich ein Sklave/Knecht Christi ist. So heißt es in 1. Petrus 2, 16: „als die Freien, und nicht als hättet ihr die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit, sondern als Knechte Gottes.“ Und in 1. Korinther 9, 19 schreibt Paulus: „Obwohl ich frei bin, habe ich mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne.“
In Römer 1,1 und Philipper 1,1 bezeichnet Paulus sich selbst als Knecht Gottes und in 1. Korinther 7, 22 und Galater 5,1 redet Paulus davon, dass wir nicht wieder Knechte der Menschen werden sollen.

Das Paradoxe ist, dass der Freie nicht sich selbst gehört, sondern dem, der ihn befreit hat.

Paulus schreibt in 1. Korinther 3, 22+23: „Alles ist euer, ihr aber seid Christi.“ Und in 2. Korinther 5,15: „Er ist darum für alle gestorben, damit die, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.“

Warum braucht der Mensch Freiheit, wovon und wozu?

Für das Neue Testament ist der Mensch grundsätzlich unfrei.

Er befindet sich unter der Herrschaft des Teufels, der Welt, des Fleisches. Die wahre Freiheit besteht nicht in der freien Verfügungsgewalt über sich selbst, weder im politischen noch im stoisch-innerlichen Sinn, sondern im Leben mit Gott, indem er seiner ursprünglichen Bestimmung entsprechend als Ebenbild Gottes lebt. Das kann er nur, wenn er sich unter die Herrschaft Christi begibt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Auseinandersetzung zwischen Martin Luther und Erasmus von Rotterdam über den freien Willen.

Wovon braucht der Mensch Freiheit?

Grundsätzlich braucht der Mensch die Befreiung von der Trennung von Gott und der damit verbundenen Herrschaft des Teufels mit allen Folgen, zum Beispiel, dass der Mensch in einem Selbstbehauptungskampf lebt, denn ohne Gott muss er für sich selbst kämpfen; er begibt sich in Abhängigkeit von Menschen, die ihm durch Lob, Anerkennung, Zugehörigkeit, Selbstwertgefühl und Sicherheit geben sollen, und von Obrigkeiten, die ihm sein Denken und Handeln vorschreiben wollen. Die grundsätzliche Unfreiheit durch die Trennung von Gott impliziert viele andere Unfreiheiten.

Wozu soll er befreit werden?

Grundsätzlich soll er wieder als Kind Gottes seiner ursprünglichen von Gott gegebenen Bestimmung entsprechend leben dürfen. Damit verbunden ist die Freiheit zum eigenen Denken, Entscheiden und Handeln in der Bindung an Gott; zur selbstbewussten Persönlichkeit, weil er nun zu Gott gehört und der ihm Wert und Sicherheit gibt; zur Liebe, denn nur wenn der Mensch frei ist von anderen und sich selbst, kann er lieben. Die von Gott gegebene Freiheit ermöglicht dem Menschen, wieder als Kind Gottes zu leben.

Die Folge der Freiheit in Christus ist nicht der „Libertinismus“.

Libertinismus bezeichnet die Freiheit, die sich an keine Gesetze, Regeln oder Instanzen gebunden fühlt, so dass der Mensch immer das tun kann, was ihm gerade gefällt. Zur Zeit des Neuen Testamentes begegnet uns der Libertinismus in der sogenannten libertinistischen Gnosis, einer in den ersten Gemeinden verbreiteten Strömung, die die Freiheit vom Gesetz, wie Paulus sie beschreibt, als völlig ungebundene Freiheit ohne Verantwortung und Grenzen verstand. Der „Freie in Christus“ ist aber an Gott gebunden und ihm gegenüber verantwortlich.

Der Freie ist allein Gott gegenüber verantwortlich und diese an Gott gebundene Freiheit in Christus hat Auswirkungen auf alle anderen Bereiche des Lebens.

Es gibt keine weltlichen oder kirchlichen Herren, die ihm etwas vorschreiben und ein schlechtes Gewissen machen können, sondern er ist dem eigenen Gewissen, das an der Botschaft Jesu geschärft wird, verpflichtet. Die reformatorischen Begriffe „sola gratia“ (allein die Gnade), „sola fide“ (allein der Glaube), „sola escritura“ (allein die Schrift), „solus cristus“ (allein Christus) sind auch die Grundlage für die Freiheit eines Christen.

Freiheit eines Christenmenschen Martin Luther Reformation
Foto: Martina Heins

„Von der Freiheit eines Christenmenschen“

gehört zu den zentralen reformatorischen Schriften Martin Luthers, die er 1520 schrieb. Die zusammenfassenden Hauptsätze Luthers sind: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“ „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Die Freiheit und das „Herr-sein“ erlangen wir allein durch den Glauben an Jesus Christus.

Allein der Glaube, dass wir Gott/Jesus glauben, macht uns zu Kindern Gottes, zu Priestern und Königen Gottes. Der Erstgeborene ist der Erbe und so ist Christus der Erbe Gottes. Durch den Glauben werden wir mit Christus eins und auch zu freien Kindern Gottes. Darum werden wir auch zu Miterben Jesu Christi. Paulus beschreibt das in Römer 8, 16-17: „16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, da wir ja mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm zur Herrlichkeit erhoben werden.“ Und Jesus macht das im Gleichnis vom verlorenen Sohn in Lukas 15, 11- 24 deutlich, wenn der Vater seinem wiedergefundenen Sohn den Siegelring an den Finger stecken lässt, der den Sohn zu einem freien Bürger und Erben erklärt. Durch die Verbindung zu Jesus Christus werden Christen zu Königen, Priestern und Kindern Gottes. So sind wir frei von jedem Gesetz und niemand Untertan.

Nun sind wir aber noch in der Welt und deshalb gehört auch unser Tun dazu, das in der dienenden, hingebenden Liebe geschieht.

Wer gute Werke tut, um dadurch vor Gott angesehen zu werden, der zerstört den Glauben. Wir sollen nicht gute Werke tun, um mit Gott verbunden zu werden, sondern weil wir durch Christus mit Gott verbunden sind, ist die Konsequenz die gute Tat im Sinne und in der Nachfolge Jesu. Diese Werke tun wir nicht aus Zwang, sondern aus freien Stücken, aus Liebe. Wir gehen aus freien Stücken so mit anderen um, wie Christus mit uns umgeht, in der dienenden Liebe. Christus hat uns alles gegeben, was für uns gut ist. So können wir anderen geben, was für sie gut ist.

Die Grenze der Freiheit ist die Liebe zu Gott, zu uns selbst und zum Nächsten. Das macht Jesus im Doppel-, bzw. Dreifachgebot der Liebe in Matthäus 22, 34-40 deutlich.

Fragen zum Weiterdenken:

  1. Nach Martin Luther ist die Ursache und der Inhalt der persönlichen Freiheit zugleich ihre Grenze, nämlich die Liebe. Halten Sie das für realistisch oder bedarf es weiterer Grenzen?
    2. Inwieweit gibt es Berührungspunkte zwischen der Lehre „von der Freiheit eines Christenmenschen“ und den Bedürfnissen und Sehnsüchten des modernen Menschen?
    3. Wo befindet die Kirche sich heute in der Gefahr, nicht die christliche Freiheit zu fördern, sondern mit der Botschaft des Evangeliums Menschen zu unterdrücken? Was sollte sich diesbezüglich in der Kirche ändern?
    4. Formulieren Sie einige Zentralsätze der Verkündigung von der christlichen Freiheit für die Menschen von heute.

Hilfreiche Bibelstellen:

Johannes 8, 22-36;
Römer 6, 18-20;
Römer 8, 2 und 21;
1. Korinther 7,22
1. Korinther 9, 19
2. Korinther 3,17;
2. Korinther 5, 15
Galater, 3, 38;
Galater 4,22ff;
Galater 5, 1 und 13;
1. Petrus 2, 16 (13-17);
Jesaja 61,1