Predigt zu Lukas 13, 1-9 am Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr (Volkstrauertag)

1 Es waren aber zu der Zeit einige da, die berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2 Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? 3 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. 4 Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen seien als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.
6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.
Wenn wir an die Weltkriege zurückdenken,
dann sind das vor allem grausame Erinnerungen für die, die dabei waren. Aber auch die anderen können durch Erzählungen und Filmberichte erahnen, wie schlimm es damals war und wie furchtbar es heute für Menschen ist, die in Kriege hineingezogen werden. Hinter den grausamen Bildern und Zahlen, die Außenstehende erschreckend zur Kenntnis nehmen können, stecken unzählig viele sehr leidvolle Einzelschicksale. Als ich vor vielen Jahren auf einer Reise in Polen einen Mann nach dem Weg fragte, antwortete er mir in sehr gutem Deutsch. Auf die Frage, warum er so gut Deutsch spreche, zeigte er mir seine eingebrannte Nummer aus dem Konzentrationslager auf dem Arm.
Menschen fügen anderen Menschen Leid zu.
Das war immer so, es ist heute so und wird immer so bleiben. Es hört nicht auf. Das geschieht nicht nur in den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Völkern, sondern auch ständig in unserem Miteinander in Ehen, unter Freunden und Nachbarn, zwischen Kindern in der Schule und Erwachsenen am Arbeitsplatz. Es gibt wohl kein Ort, an dem es nicht geschieht. Der Schriftsteller Robert Walser schrieb einmal: „Wie kann es im Großen Frieden geben, wenn im Kleinen nichts weiter als ständig genörgelt und gestichelt wird.“ Die Folgen sind immer verheerend, sowohl in unserem kleinen Miteinander als auch in Konflikten zwischen Völkern.
Wie gehen wir als Christen damit um, wenn so etwas geschieht?
Wir können versuchen, uns irgendwie durchzulavieren, uns darum nicht zu kümmern und zu hoffen, dass es uns nicht trifft. Aber was ist, wenn es uns trifft und alle anderen schauen weg. Wir können Gott anklagen und wir dürfen Gott auch klagend fragen, aber es ist doch wohl die Verantwortung von uns Menschen, wenn Menschen sich Leid zufügen. Eine andere Möglichkeit besteht in einem beliebten „Spiel“, das auch unter Christen verbreitet ist, in dem wir mit dem Finger auf andere zeigen, um uns selbst von der Schuld reinzuwachsen, so wie es auch in unserem Bibeltext geschieht.
Jesus macht hier deutlich, um wen es wirklich geht.
Wegschauen, Gott die Schuld geben oder mit dem Finger auf andere zeigen, ist nicht die richtige Antwort, sondern es geht um jeden Einzelnen von uns. „Wenn Ihr nicht umkehrt“, sagt Jesus. In Matthäus 3, 2 und Matthäus 4, 17 fasst Jesus seine Botschaft zusammen in dem Satz „Tut Buße (kehrt um!), denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Umkehr zu Jesus bedeutet, weg vom menschenverachtenden gottlosen Leben zu einem Leben in seiner Nachfolge!
Was können wir nun bei Jesus und bei denen, die ihm nachfolgen, sehen?

Bei allem, was Jesus tat und sagte finden wir ein klares „Nein“ und ein klares „Ja“.
Sein ganzes Leben war ein klares „Nein“ zu allem, was dem im Wege steht, dass Menschen die Liebe Gottes erfahren und dadurch neues Leben bekommen können. So gibt er ein „Nein“ zum Beispiel in Lukas 18, 9-14, zur Scheinheiligkeit der Pharisäer und ein „Ja“ zum ehrlichen Bekenntnis des Zöllners vor Gott, der nur bekennen kann: Ich bin ein Sünder. So bin ich. Er sagt „Nein“ zum moralisierenden Richten und Verurteilen und „Ja“ dazu, dass jeder Mensch von Gott angenommen wird, wie er ist und dass er sich in der Gemeinschaft mit Gott zum einzigartigen Ebenbild Gottes verändern kann. Und im Tempel zeigt er mit dem Hinauswurf der Händler ein „Nein“ dazu, das Gebet zur Handelsware zu machen, und ein „Ja“, dass man Gott aus ehrlichem Herzen anbeten kann und soll.
Dieses
klare „Nein“ und „Ja“ können wir zum Beispiel auch bei Luther sehen,
der ein „Nein“ zu einer Kirche, die mit ihrer Ordnung den lebendigen Glauben verhindert und „Ja“ dazu, dass allein Christus in der Kirche groß sein soll. Dietrich Bonhoeffer sagte im 3. Reich „Nein“ zu einem ungerechten, menschenverachtenden System, und ein „Ja“ dazu, dass in allen Bereichen des Lebens Christus der Herr sein soll. Das sind nur ein paar Beispiele. Wir könnten viele hinzufügen.
Für alle, die so Jesus nachfolgten, hat das klare „Ja“ und das klare „Nein“ oft bedeutet, dass sie dadurch viele Nachteile in Kauf nehmen mussten. Einige mussten es sogar mit ihrem Leben bezahlen.
Aber noch etwas können wir bei Jesus und diesen Menschen sehen. Es ging ihnen nicht um Macht, Anerkennung und Ehre.
Sie wollten ihr „Ja“ nicht mit Macht durchsetzen, sondern sie haben es einfach bezeugt und gelebt. Denn da, wo es mit Machtmitteln durchgesetzt werden soll, werden wieder andere unterdrückt und bekämpft. Da entstehen Machtkämpfe und sogar Kriege um des Glaubens willen. Das ist nicht der Wille von Jesus Christus! Er hat auf Macht verzichtet. Er hat sich besiegen lassen und ist dennoch bei seinem klaren „Nein“ und „Ja“ geblieben.
Jesus Christus selbst, Luther, Bonhoeffer und andere konnten so handeln, weil sie nicht nach Anerkennung, Ehre und Macht strebten, sondern weil sie ihre ganze Sicherheit und Geborgenheit bei Gott selbst suchten und gefunden hatten.
Das zeigen zum Beispiel die wunderbaren und eindrucksvollen Lieder von Martin Luther, zum Beispiel „Ein feste Burg ist unser Gott.“ und von Dietrich Bonhoeffer „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“
Umkehr heißt nicht, dass wir gleich vollkommen sein müssen wie Jesus, aber dass wir uns zu ihm hin immer wieder ausrichten lassen.

Wir können Fehler machen, aber die Frage ist, woran wir uns orientieren. Christen orientieren sich an Jesus und lassen sich von ihm ausrichten.
Im Dritten Reich gab es die „Deutschen Christen“ und die „Bekennende Kirche“. Die einen versuchten, sich durchzulavieren und wegzuschauen. Sie stützten ihre Sicherheit auf die politische Macht. Die „Bekennende Kirche“, das waren Christen, die auch Fehler machten, aber die einfach nur Christus im Blick hatten und deshalb ein klares „Nein“ zum Naziregime lebten und ein klares „Ja“ zu Christus. Die Kirche hat danach ein Schuldbekenntnis ausgesprochen, aber ist sie wirklich umgekehrt? Sind die Christen umgekehrt? Wie ist das bei uns? Geht es uns um menschliche Anerkennung, Macht und Ehre oder allein um Christus?
Es gilt auch für uns, dass wir uns wieder neu ausrichten zu Christus hin, der uns alle Geborgenheit und Sicherheit gibt. Nicht nach Anerkennung, Ehre und Macht sollen wir streben, sondern ganz allein nach der Gemeinschaft mit Jesus Christus.
Die Welt, die Menschen brauchten nicht nur im Dritten Reich, nicht nur in der Reformation dieses klare „Nein“ und „Ja“ der Christen, sondern heute genauso, auch in den kleinen alltäglichen Bereichen des Lebens genauso wie in den großen Zusammenhängen der Welt.
