Confessio Augustana – ( CA) Das Augsburger Bekenntnis

Inhalt

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Einführungen:

Einführung von der VELKD (Vereinigte Evangelische Lutherische Kirche)
Einführung von Pastor Matthias Krieser, EELK (Selbständige Evangelische Lutherische Kirche

Vorrede

Erster Teil: Die wichtigsten Artikel des Glaubens

Artikel 1: Gott
Artikel 2: Die Erbsünde
Artikel 3: Gottes Sohn
Artikel 4: Die Rechtfertigung
Artikel 5: Der kirchliche Verkündigungsdienst
Artikel 6: Der neue Gehorsam
Artikel 7: Die Kirche
Artikel 8: Was die Kirche ausmacht
Artikel 9: Die Taufe
Artikel 10: Das Mahl des Herrn
Artikel 11: Die Beichte
Artikel 12: Die Buße
Artikel 13: Der Sakramentsempfang
Artikel 14: Das kirchliche Amt
Artikel 15: Kirchliche Bräuche
Artikel 16: Angelegenheiten der Gesellschaft
Artikel 17: Christi Wiederkommen zum Gericht
Artikel 18: Der freie Wille
Artikel 19: Die Ursache der Sünde
Artikel 20: Glaube und gute Werke
Artikel 21: Die Verehrung von Heiligen

Schluss des ersten Teils

Zusammenfassung des zweiten Teils

Zweiter Teil: Artikel über die Bereinigung von Missständen

Artikel 22: Die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt
Artikel 23: Die Priesterehe
Artikel 24: Die Messe
Artikel 25: Die Beichte
Artikel 26: Speisevorschriften (und ähnliche Traditionen)
Artikel 27: Klostergelübde
Artikel 28: Kirchliche Macht

Schluss

Einführung von der VELK

Der von Kaiser Karl V. nach Augsburg einberufene Reichstag sollte eine Lösung der bedrängend gewordenen Religionsfragen bringen; eine Kirchenspaltung drohte unvermeidlich zu werden. Auf anderen Reichstagen in den Jahren zuvor waren die Standpunkte bereits deutlich geworden (zum Beispiel bei der „Speyrer Protestation“ 1529). Ursprünglich war beabsichtigt, die unterschiedlichen Auffassungen bestimmter Punkte des praktizierten Glaubens darzustellen; doch dann wurde auf dem Reichstag in Augsburg eine umfassende Darstellung des Glaubens vorgelegt, die im ersten Teil die Hauptaussagen zur Glaubenslehre enthält und im zweiten Teil die Stellungnahmen zur Abschaffung bestimmter kirchlicher Bräuche bei den Protestanten.

Durch die klärenden Artikel des Augsburger Bekenntnisses versuchten die Reformatoren ursprünglich, die Gemeinsamkeit mit der katholischen Kirche wiederzuerlangen. Es ist in seinem Ziel also ein ökumenisches Bekenntnis. Freilich wurde es in der Folge zu der zentralen Bekenntnisschrift der protestantischen Kirchen lutherischer Prägung und konnte die Kirchenspaltung nicht verhindern.

Das Augsburger Bekenntnis wurde von Philipp Melanchthon in lateinischer und deutscher Sprache verfasst. Die beiden Fassungen weisen etliche Unterschiede auf; die deutsche Fassung ist keine wörtliche Übersetzung der lateinischen. Dennoch geben sie je auf ihre Weise die entscheidenden Kernpunkte der protestantischen Überzeugung aus dem Jahr 1530 wieder. 1537 wurde dem Bekenntnis dann offiziell noch die Schrift „Von der Gewalt des Papstes“ von Melanchthon hinzugefügt. Eine Gruppe von evangelischen Fürsten und Reichsstädten unterzeichnete die „Confessio Augustana“, die dem Kaiser beim Reichstag vorgelegt wurde. Im Vorwort wird ausdrücklich Gesprächsbereitschaft erklärt, und die Schlusserklärung betont noch einmal die Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift und dem Bekenntnis der Alten Kirche.

Die Lehrverurteilungen des Augsburger Bekenntnisses entstammen der Sache nach der Zeit und dem Denken des 16. Jahrhunderts und treffen heute zum größten Teil die Lehren der angesprochenen Kirchen nicht mehr. Durch die bis in die Gegenwart hinein geführten Lehrgespräche zwischen den verschiedenen Kirchen geben die Verurteilungen nicht mehr den aktuellen Stand des Verhältnisses der Kirchen und Glaubensgemeinschaften untereinander wieder.

Quelle: Velkd: https://www.velkd.de/theologie/augsburger-bekenntnis.php )

Einführung von Matthias Krieser

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war kein Nationalstaat, sondern ein Verbund mehrerer hundert Fürstentümer, Herzogtümer, Bistümer, Grafschaften und Reichsstädte. Die Landesherren vieler dieser Territorien kamen in unregelmäßigen Abständen auf Reichstagen zusammen, um den deutschen Kaiser zu wählen und gemeinsam mit ihm politische Angelegenheiten zu beraten. Man nannte sie „Reichsstände“.

Im Jahre 1521 hatte der junge Kaiser Karl V. einen Reichstag nach Worms einberufen. Auf der Agenda stand unter anderem der Fall Luther. Vier Jahre vorher hatte Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlicht und damit im ganzen Land Aufsehen erregt. Seitdem verteidigte und verschärfte er in Schriften und theologischen Diskussionen seine Kritik an den Zuständen der Papstkirche. Die Kirchenoberen zeigten wenig Verständnis. So war es Anfang 1521 dazu gekommen, dass der Papst Luther „bannte“, also aus der Kirche ausschloss. Für den kirchentreuen Kaiser war damit klar, dass nun auch die weltliche Obrigkeit gegen Luther tätig werden musste. Allerdings wurde Luther zunächst vor den Wormser Reichstag zitiert und dort aufgefordert, seine Schriften zu widerrufen. Er lehnte das aus Gewissensgründen ab. Daraufhin verhängte der Kaiser mit dem sogenannten „Wormser Edikt“ die Reichsacht über den Reformator: Er sprach ihm sämtliche bürgerlichen Rechte ab und ordnete an, ihn als überführten Ketzer auszuliefern. Jeder, der ihn schützte, beherbergte oder auch nur mit Lebensmitteln versorgte, machte sich strafbar. Ferner verbot das Wormser Edikt, Luthers Schriften zu besitzen oder zu lesen sowie seine Lehre zu verbreiten. Allerdings durfte Luther zunächst als freier Mann aus Worms abreisen, wie es ihm vorher zugesichert worden war.

Wäre das alles hundert Jahre früher geschehen, dann wäre Luther nun ein toter Mann gewesen. Aber das Mittelalter war vorbei, und Luther hatte viele Menschen von der Richtigkeit seiner theologischen Erkenntnisse überzeugen können, darunter auch einflussreiche Persönlichkeiten. Sein Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen und andere Reichsstände versagten dem Wormser Edikt daher die Anerkennung (es war ohnehin erst nach dem offiziellen Ende des Reichstags nur von einem Rest noch anwesender Reichsstände bestätigt worden). Außerdem sorgte Friedrich der Weise dafür, dass Luther in einer Nacht- und Nebel-Aktion auf die Wartburg gebracht wurde, wo er ein knappes Jahr lang unerkannt als „Junker Jörg“ lebte. Unterdessen organisierten die Reichsstände, die zu Luther hielten, in ihren Hoheitsgebieten die christlichen Gemeinden im Sinne der Reformation – und verweigerten damit faktisch dem Wormser Edikt den Gehorsam. In den folgenden Jahren wurde das zum andauernden Streitthema auf den Reichstagen.

Aufgrund politischer Sachzwänge konnte Karl V., der zugleich König von Spanien war, nicht selbst zugegen sein, sondern schickte seinen Bruder Ferdinand als Stellvertreter. Unter dessen Leitung einigte man sich 1526 in Speyer auf den Kompromiss, dass jeder Landesherr es mit dem Wormser Edikt so halten soll, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten kann. Aber bereits 1529 bestand der Kaiser wieder auf der Durchführung seines Erlasses. Die reformationsfreundlichen Reichsstände reagierten darauf mit einer Protestschrift; seitdem werden die Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind, auch als „Protestanten“ bezeichnet.

Die konfessionelle Uneinigkeit belastete die politische Situation im Reich so sehr, dass Karl V. sich genötigt sah, die Protestanten um eine nähere Darlegung ihres Standpunktes zu bitten. Er hoffte, dass auf dieser Basis beim Reichstag in Augsburg 1530 eine theologische Einigung erzielt werden könne. Friedrich der Weise beauftragte daraufhin lutherische Fachtheologen mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Schrift. Andere Reichsstände, die die Reformation bejahten, schlossen sich nach und nach an. Federführend bei diesem Projekt war Luthers enger Mitarbeiter Philipp Melanchthon. Er verwendete dabei Textbausteine aus früheren Lehrdokumenten und Reformationsschriften. Die deutsche und die lateinische Fassung entstanden auf diese Weise gleichzeitig. Das Ergebnis ist das Augsburger Bekenntnis, auch Augsburger Konfession oder Confessio Augustana (CA) genannt. Vier süddeutsche Städte, die mit der lutherischen Abendmahlslehre der CA nicht einverstanden waren, bereiteten für den Kaiser ein eigenes Bekenntnis vor, nämlich die Confessio Tetrapolitana, und der Reformator Ulrich Zwingli formulierte mit seiner „Fidei Ratio“ ein eigenes Lehrdokument.

Der Augsburger Reichstag sollte ursprünglich schon im April 1530 beginnen, aber die nach und nach eintreffenden Reichsstände mussten lange auf den Kaiser warten: Er kam erst am 15. Juni nach Augsburg. Es war der erste Reichstag nach 1521, den er wieder persönlich leitete. Die lutherischen Landesherren und ihre zur Beratung mit angereisten Fachtheologen konnten die Wartezeit gut gebrauchen: Sie trafen letzte Absprachen untereinander und arbeiteten am Text des Bekenntnisses, das buchstäblich erst in letzter Minute fertiggestellt wurde.

Der Augsburger Reichstag von 1530 bot vermutlich die letzte Chance, die Christenheit im Westteil des ehemaligen römischen Imperiums vor dem Auseinanderbrechen in einen evangelischen und einen katholischen Teil zu bewahren. Die Urheber der Confessio Augustana müssen sich dieser Verantwortung bewusst gewesen sein, denn sie versuchten mit dem Dokument, der Papstkirche eine goldene Brücke zu bauen: Das ganze Bekenntnis ist so aufgebaut und formuliert, dass Gemeinsames betont und Trennendes als durchaus überwindbarer Missstand dargestellt wird. Provozierende Gedanken und Formulierungen, wie Luther sie in seinen Schriften geäußert hatte, sind in der CA deswegen nicht zu finden.

In der sehr freundlich und ergeben gehaltenen Vorrede äußern die Anhänger der lutherischen Reformation die Hoffnung, dass mit diesem Dokument die Streitigkeiten über Glaubensfragen beigelegt werden können. Dabei kommt die Überzeugung zum Ausdruck, dass dies letztlich nur auf der Grundlage der Heiligen Schrift verantwortet werden kann. An die Vorrede schließen sich zwei Hauptteile an. Der erste Hauptteil behandelt wichtige christliche Glaubensartikel in systematischer Reihenfolge, angefangen von der Gotteserkenntnis über Christus, die Rechtfertigungslehre, die Gnadenmittel und die Kirche bis hin zur Wiederkunft Christi und der ewigen Seligkeit. An die entsprechenden 17 Artikel angefügt sind dann noch vier Artikel über die Themen Willensfreiheit, Ursprung der Sünde, gute Werke und Heiligenverehrung. Die insgesamt 21 Artikel des ersten Teils betonen die Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift und mit der rechtgläubigen Kirche aller Zeiten. Sie verwerfen ausdrücklich solche Irrlehrer, die auch die Papstkirche verwarf. Wo die Artikel des ersten Teils inhaltlich von der Lehrmeinung der Papstkirche abweichen, ist dies hingegen nicht ausdrücklich vermerkt; lediglich am Ende des 12. Artikels über die Buße findet sich eine Verwerfung, die so verstanden werden kann. Der zweite Hauptteil geht in sieben weiteren Artikeln ausführlich auf Missstände der damaligen Papstkirche ein. Neben Schriftbeweisen enthalten sie auch eine Fülle von Belegen dafür, dass es diese Missstände in der alten Kirche nicht gab und dass sie auch nicht dem Geist des kanonischen Rechts entsprechen. Obgleich die Formulierungen den Eindruck erwecken, dass es hier um leicht zu überwindende „Missbräuche“ geht, so zieht sich doch inhaltlich wie ein roter Faden die Erkenntnis hindurch: Es geht in all diesen Fragen letztlich um das alleinige Verdienst Christi zur Rechtfertigung des Sünders, die Glaubensgerechtigkeit und somit auch die christliche Freiheit. Der 4. Artikel von der Rechtfertigung erweist sich dabei in der gesamten Bekenntnisschrift als Leitmotiv und Hauptanliegen der Reformatoren gegenüber der Papstkirche.

Am Samstag, den 25. Juni, dem späteren „Gedenktag der Augsburgischen Konfession“, war es soweit: Der sächsische Kanzler Christian Beyer las Karl V. und allen Teilnehmern des Reichstags den deutschen Text des Augsburger Bekenntnisses vor. Dann wurde dem Kaiser sowohl die deutsche als auch die lateinische Fassung überreicht. Beide Fassungen galten als verbindlich; insofern ist die Augsburger Konfession eine bilinguale Bekenntnisschrift. Das deutsche Schriftstück ist seit der Übergabe verschollen, das lateinische wurde wohl knapp vierzig Jahre später auf Betreiben von Karls Sohn, Philipp II. von Spanien, vernichtet. Alle Überlieferungen der CA gehen deshalb nicht auf die Originaldokumente, sondern auf Abschriften zurück.

Politisch hat das Augsburger Bekenntnis sein Ziel verfehlt. Kaiser Karl V. und die papsttreuen Reichsstände ließen von ihren Theologen eine Erwiderung ausarbeiten, die Confutatio Pontifica. Sie stimmt zwar einigen Punkten der CA zu, erhebt aber in wesentlichen Aussagen Einspruch. Die Confutatio wurde am 3. August verlesen, jedoch wurde den evangelischen Reichsständen und Theologen keine Abschrift ausgehändigt. Für Karl V. galt das Augsburger Bekenntnis damit als widerlegt und die Sache als entschieden. Melanchthon bemühte sich in vielen Verhandlungen vergeblich, doch noch eine akzeptable Einigung herbeizuführen. Seine hervorragende Auffassungsgabe befähigte ihn auch, in wenigen Wochen eine ausführliche Stellungnahme zur Confutatio auszuarbeiten und die Artikel der CA darin zu verteidigen. Es handelt sich um die sogenannte Apologie der Augsburger Konfession. Der Kaiser jedoch wollte sich dieses Dokument nicht einmal überreichen lassen. Nach dem Scheitern aller Bemühungen verließen die reformatorisch gesinnten Reichsstände unter Protest den Reichstag. Der Kaiser aber setzte mit den verbliebenen Reichsständen das Wormser Edikt erneut uneingeschränkt in Kraft. Damit war das Reich endgültig politisch und konfessionell gespalten. Auch eine Reihe von Religionsgesprächen in den folgenden Jahren, auf denen sich auf lutherischer Seite vor allem Philipp Melanchthon um eine Einigung bemühte, konnten daran nichts ändern.

Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte die CA noch einmal eine wichtige politische Funktion. Das kam so: Die Unterzeichner des Bekenntnisses und eine wachsende Zahl von gleichgesinnten Reichsständen schlossen sich 1531 zu einem Verteidigungsbündnis zusammen, dem Schmalkaldischen Bund. Sie wollten vorbereitet sein, falls der Kaiser mit militärischer Gewalt gegen die in seinen Augen Abtrünnigen vorgehen würde. 1546, bald nach Luthers Tod, kam es dann tatsächlich zum Schmalkaldischen Krieg. Zwar besiegte Karl V. die Verbündeten und begann, bei kleinen Zugeständnissen im Wesentlichen wieder die alten kirchlichen Verhältnisse herzustellen. Aber durch gewisse Intrigen und politische Entwicklungen gelangten die evangelischen Reichsstände bald wieder zu größerer Macht, sodass der Kaiser sich auf ihre Forderungen einlassen musste. So kam es beim Reichstag in Augsburg 1555 zum Augsburger Religionsfrieden. Dieser Friedensvertrag legte im Wesentlichen fest, dass jeder Landesherr die „Religion“ seines Territoriums bestimmen darf. Dafür standen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: entweder die Papstkirche oder eine evangelische Kirche im Sinne der CA. Damit war die grundlegende konfessionelle Teilung der Christenheit Deutschlands in einen evangelischen und einen katholischen Teil zementiert.

Trotz ihres Scheiterns als Einigungsdokument gelangte die Augsburger Konfession schnell zu großer Verbreitung und hohem Ansehen. Bereits 1530 wurde sie inoffiziell nachgedruckt. Die erste offizielle Druckfassung gab 1531 Philipp Melanchthon persönlich heraus, zusammen mit der Apologie. Ab 1533 wurden die theologischen Doktoranden der Universität Wittenberg auf das Augsburger Bekenntnis verpflichtet. Bereits bei seiner ersten Veröffentlichung der CA nahm Melanchthon sich die Freiheit, den Wortlaut noch einmal zu überarbeiten. In den folgenden Jahren veränderte er wiederholt den Text, denn er hoffte, dass die CA auf diese Weise konsensfähiger wird. Dabei setzte er sich nicht nur für eine Verständigung mit der Papstkirche ein, sondern auch mit dem reformierten Flügel der Reformation, der in der Sakramentslehre anders dachte als die Lutheraner. Melanchthons CA-Ausgabe von 1540 war aus diesem Grund inhaltlich so stark verändert, dass sie auch von der reformierten Seite und ihrem prominenten Theologen Johannes Calvin akzeptiert wurde. Diese Version des Augsburger Bekenntnisses ist unter der Bezeichnung „Variata“ in die Konfessionsgeschichte eingegangen – im Gegensatz zur „Invariata“, der ungeänderten Augsburgischen Konfession.

Am 25. Juni 1580, also genau am 50. Jahrestag der CA, erschien eine offizielle Sammlung lutherischer Bekenntnisschriften unter dem Titel „Konkordienbuch“. Neben den altkirchlichen Bekenntnissen und der Augsburger Konfession enthielt es die Apologie, Luthers Großen und Kleinen Katechismus, Luthers Schmalkaldische Artikel mit Melanchthons „Tractatus“ über die Macht der Papstkirche sowie die Konkordienformel – sowohl in ausführlicher Version („Solida Declaratio“) als auch in ihrer offiziellen Zusammenfassung („Epitome“). Das Konkordienbuch wurde von 86 Reichsständen und mehreren tausend Theologen unterschrieben. Bis heute gilt es in kompromisslos lutherischen Kirchen als offizielle Lehrgrundlage und sachgemäße Wiedergabe biblischer Lehre. Die Konkordienformel hat eine unrühmliche Vorgeschichte von erbitterten theologischen Streitigkeiten der Lutheraner untereinander. Diese Auseinandersetzungen hängen auch mit der damals unklaren Textgestalt der Augsburger Konfession zusammen. Philipp Melanchthon hatte ja seit 1530 den Wortlaut ständig verändert. Inhaltlich entfernte er sich dabei immer mehr von der Theologie der CA, und zwar vor allem in den Themenbereichen Sakramentslehre, freier Wille und gute Werke. Die Theologen, die ihm darin folgten, wurden nach Melanchthons Vornamen „Philippisten“ genannt und von ihren lutherischen Gegnern als „Kryptocalvinisten“ beschimpft, also als vorgetäuschte Lutheraner, die insgeheim Calvinisten waren. Diese Gegner fasst man mit dem Begriff „Gnesiolutheraner“ zusammen. Nachdem Melanchthon 1560 gestorben war, entbrannte dieser Theologenstreit in voller Heftigkeit und wollte trotz vieler Einigungsbemühungen lange nicht enden. Eine dieser vergeblichen Bemühungen war der Naumburger Fürstentag von 1561. Dort brauchten die Theologen allein schon zwei Tage, um aus verschiedenen Überlieferungen den ursprünglichen Wortlaut der CA zu rekonstruieren. Erst 1577 brachte die Konkordienformel die zerbrochene Einheit des Luthertums wieder zurück. Seitdem binden sich lutherische Kirchen offiziell an die Lehre von CA und Konkordienbuch. Ihre Pfarrer werden bei der Ordination verpflichtet, im Sinne der Heiligen Schrift und dieser Bekenntnisse ihr Amt auszuüben. Durch Mission und Emigration entstanden lutherische Kirchen auf allen Kontinenten. So ist es dazu gekommen, dass das Augsburger Bekenntnis auch in zahlreichen Fremdsprachen vorliegt.

1930, im 400. Gedenkjahr der Augsburger Konfession, erschien unter dem Titel „Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“ eine wissenschaftliche Ausgabe des Konkordienbuchs. Dieses unter der Abkürzung BSLK bekannt gewordene Werk wurde zuletzt 2010 in 13. Auflage herausgegeben. Wer sich mit dem genauen deutschen und lateinischen Wortlaut der CA auseinandersetzen will, kommt um diese Ausgabe nicht herum. Unter hohem Aufwand wurden dafür große Mengen von Quellen gesichtet und aufgearbeitet. Da die Originaldokumente von 1530 verloren sind, konnte ihr Wortlaut ja nur aus Abschriften erschlossen werden; jedoch bereits aus dem Entstehungsjahr sind über 50 Abschriften erhalten, die zum Teil erheblich voneinander abweichen. In BSLK finden sich dazu die einschlägigen textkritischen Hinweise.

Die vorliegende Fassung der CA verfolgt einen anderen Zweck: Sie präsentiert den vollständigen Inhalt des Augsburger Bekenntnisses in leicht lesbarem Deutsch. Es geht hier also nicht um eine wörtliche, wohl aber um eine inhaltsgetreue Wiedergabe der ungeänderten Augsburger Konfession. Um die darin enthaltenen Bibelzitate sprachlich vom übrigen Text abzusetzen, sind sie weitgehend nach dem vertrauten Text der revidierten Lutherbibel von 1984 zitiert. Der hier veröffentlichte Text der CA ist im Wesentlichen eine Übersetzung des lateinischen Urtextes, der in den meisten Fällen präziser als der deutsche Paralleltext wiedergibt, was gemeint ist. Wo der deutsche Text inhaltliche Zusatzinformationen bietet, ist er nach sprachlicher Anpassung mit eckigen Klammern in die Übersetzung eingefügt worden. Auf diese Weise kann der vollständige Inhalt des bilingualen Bekenntnisses in einem einzigen Textfluss gelesen werden. Quellenangaben und ergänzende Zusätze des Übersetzers erscheinen in runden Klammern. Die Zählung der Abschnitte ist von BSLK übernommen worden und hilft bei Ausgaben-unabhängigen Verweisen auf bestimmte Stellen.

Es gehört zur Eigenart der CA, dass sie sich wie ein Brief in persönlicher Anrede an Kaiser Karl V. richtet. Mit dem „Wir“ dieser Bekenntnisschrift sind also die unterzeichnenden Landesherren bzw. Reichsstände gemeint. Der Urtext differenziert von diesem Unterzeichner-„Wir“ die Theologen, Pfarrer und Gemeinden in den Gebieten der entsprechenden Reichsstände mit Wendungen wie „unsere Gemeinden“, „bei uns“ usw. Um größerer sprachlicher Klarheit willen sind solche Wendungen in der vorliegenden Übersetzung häufig einfach mit „wir“ wiedergegeben worden.

Im Gegensatz zu vergleichbaren Versionen der CA ist der vorliegende Text durch keine Urheberrechte geschützt, darf also ohne besondere Genehmigung in beliebiger Weise weiterverbreitet werden.

Oktober 2014 Matthias Krieser

Quelle: Sola gratia Verlag https://www.sola-gratia-verlag.de

Vorrede

1Unüberwindlichster Kaiser, Caesar Augustus, gnädigster Herr! Eure kaiserliche Majestät hat einen Reichstag nach Augsburg einberufen. Dort soll über Hilfsmaßnahmen gegen den Türken beraten werden, diesen sehr aggressiven alten Erbfeind des christlichen Namens und der christlichen Religion, wie man sein Wüten und seine Angriffe mit einer nachhaltigen militärischen Aktion aufhalten kann. 2Ebenso soll dort über die Differenzen in Fragen unserer Religion und unseres christlichen Glaubens beraten werden. Es ist beabsichtigt, die Meinungen und Anschauungen der Parteien in dieser Religionsfrage gegenseitig mit Liebe, Milde und Sanftmut zu hören, zu verstehen und zu erwägen. 3Wenn dann auf beiden Seiten das jeweils Schriftwidrige korrigiert ist, sollen die strittigen Punkte zu einer einzigen schlichten Wahrheit sowie zu christlicher Einmütigkeit zusammen- bzw. zurückgeführt werden. 4Ziel ist es dabei zum einen, dass wir in Zukunft einer einzigen aufrichtigen und wahren Religion anhängen und dienen; zum anderen, dass wir so, wie wir unter einem Christus sind und streiten, auch in der Einheit und Eintracht einer einzigen christlichen Kirche leben können. 5Weil wir, die am Schluss Aufgeführten, ebenso wie andere Kurfürsten, Fürsten und Reichsstände zu der obengenannten Versammlung eingeladen wurden, haben wir den kaiserlichen Befehl gehorsam befolgt und sind frühzeitig nach Augsburg gekommen. Ohne uns rühmen zu wollen, weisen wir darauf hin, dass wir unter den Ersten waren, die eintrafen. 6Eure kaiserliche Majestät hat auch hier in Augsburg den Kurfürsten, Fürsten und übrigen Reichsständen gleich zu Beginn der Zusammenkünfte unter anderem den Auftrag gegeben, dass sie kraft des kaiserlichen Erlasses ihre Meinung und Ansicht in deutscher und lateinischer Sprache vorlegen und präsentieren sollen. 7Nach einer Beratung am letzten Mittwoch (22. Juni) haben wir daraufhin eurer kaiserlichen Majestät geantwortet, dass wir für unsern Teil die Artikel unseres Bekenntnisses am Freitag (24. Juni) [auf Deutsch und Lateinisch] einreichen werden. 8Gehorsam dem Wunsch Eurer
Majestät präsentieren wir also nun in dieser Religionsfrage das Bekenntnis unserer Prediger, das auch unser Bekenntnis ist. Sie haben uns [in unseren Ländern, Fürstentümern, Herrschaftsgebieten und Städten] bisher eine entsprechende Lehre aus der Heiligen Schrift und Gottes reinem Wort verkündigt. 9Wenn nun gemäß der oben genannten Vorgabe der kaiserlichen Majestät auch die übrigen Kurfürsten, Fürsten und Reichsstände ihre Meinungen in der Religionsfrage auf ähnliche Weise mit lateinischen und deutschen Schriften vorlegen, 10sind wir mit schuldigem Gehorsam gegen eure kaiserliche Majestät, unsern gnädigsten Herrn, bereit, mit den besagten Fürsten, unsern Freunden, und mit den Reichsständen freundschaftlich über geeignete und annehmbare Wege zu verhandeln. So wollen wir uns einigen, soweit das in Ehren möglich ist. Wenn die Angelegenheit auf diese Weise und nach gegenseitiger Vorlage der Schriften friedlich und ohne hasserfüllten Streit unter uns ausgehandelt ist, dann soll, so Gott will, die Meinungsverschiedenheit beigelegt und auf die eine wahre und einträchtige Religion zurückgeführt werden. 11Wie wir alle unter einem Christus leben und streiten sowie einen Christus bekennen sollen im Geist des Erlasses eurer kaiserlichen Majestät, so möge alles zu Gottes Wahrheit gereichen. Wir bitten Gott mit glühendem Flehen, dass er uns in dieser Sache hilft und Frieden schenkt.

12Falls aber, was die übrigen Kurfürsten, Fürsten und Reichsstände als die andere Seite betrifft, die Behandlung dieser Angelegenheit nicht im Sinne des Erlasses eurer kaiserlichen Majestät vorankommt und fruchtlos bleibt, 13so bezeugen wir wenigstens: Wir werden nichts zurückweisen, was in irgendeiner Weise zu einer christlichen Eintracht führt, die mit Gott und gutem Gewissen zustande kommen kann. 14Dies werden eure kaiserliche Majestät sowie dann auch die übrigen Kurfürsten, Reichsstände und alle, die von ehrlicher Liebe und Leidenschaft für die Religion ergriffen sind und unvoreingenommen diese Sache hören werden, aus diesem unserem Bekenntnis gütigst entnehmen und erkennen können. 15/16Nun hat eure kaiserliche Majestät den Kurfürsten, Fürsten und Reichsständen nicht nur einmal, sondern mehrmals gütigst angezeigt, dass eure kaiserliche Majestät in dieser Religionssache aus bestimmten, beim Reichstag in Speyer 1526 dargelegten Gründen noch keine Entscheidung treffen, sondern sich beim Papst für die Einberufung eines Konzils einsetzen wolle. Seinerzeit hat man einen entsprechenden vorbereiteten Schriftsatz seiner kaiserlichen Majestät verlesen und erläutert. 17Das ist dann im vorigen Jahr auf dem letzten Reichstag in Speyer weiter entfaltet worden. 18Dort hat eure kaiserliche Majestät durch Herrn Ferdinand, den König von Böhmen und Ungarn, unsern Freund und gnädigsten Herrn, sowie auch durch einen Sprecher und durch kaiserliche Kommissare gemäß einer Anweisung unter anderem folgendes vorlegen lassen: Eure kaiserliche Majestät habe den Vorschlag, ein Generalkonzil einzuberufen, zur Kenntnis genommen und überdacht. Dieser Vorschlag kam vom Stellvertreter eurer kaiserlichen Majestät im Reich sowie dem Präsidenten, den Räten des kaiserlichen Regiments und den Gesandten von anderen Reichsständen, die sich 1527 in Regensburg versammelt hatten. 19Auch habe eure kaiserliche Majestät selbst es für nützlich befunden, dass so ein Konzil einberufen wird. Weil die Dinge, die eure kaiserliche Majestät und der Papst vor einiger Zeit besprochen haben, eine Einigung und christliche Versöhnung nähergebracht haben, sei eure kaiserliche Majestät zuversichtlich, dass der Papst zum Abhalten eines Generalkonzils bewegt werden könne. 20Aus diesen Gründen kündigte eure kaiserliche Majestät gütigst an, sich dafür einzusetzen, dass der Papst der Einberufung eines solchen Konzils zustimmt und es zum nächstmöglichen Zeitpunkt brieflich ankündigt.

21Falls nun diese Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und der anderen Seite nicht gütlich beigelegt werden, bieten wir mit allergrößtem Gehorsam gegenüber eurer kaiserlichen Majestät an, auf so einem christlichen und freien Generalkonzil bereitwillig Rede und Antwort zu stehen. Für seine Einberufung ist ja auf allen Reichstagen, die bisher in der Regierungszeit eurer kaiserlichen Majestät stattgefunden haben, durch die Kurfürsten, Fürsten und Reichsstände nach reiflicher Überlegung stets mit großer Einmütigkeit plädiert worden. 22An so ein Konzil und an eure kaiserliche Majestät haben wir in dieser großen und ernsten Angelegenheit bereits schon früher auf gebotene Weise rechtlich korrekt appelliert. 23An diesem Appell halten wir bis heute fest und ziehen ihn auch nicht allein aufgrund dieser oder einer anderen Verhandlung zurück. Nur wenn die Sache freundschaftlich im Geist des kaiserlichen Erlasses gehört und zur christlichen Einheit zurückgeführt wird, wollen und können wir von diesem Appell Abstand nehmen. 24Darüber legen wir hier öffentlich Zeugnis ab.

Erster Teil: Die wichtigsten Artikel des Glaubens

Artikel 1: Gott

1Unsere Gemeinden lehren in völliger Übereinstimmung, dass der Synodalbeschluss von Nizäa über die Einheit von Gottes Wesen und über die drei göttlichen Personen wahr ist und ohne jeden Zweifel geglaubt werden muss. 2Es gibt demnach nur ein einziges Wesen, das zutreffend Gott genannt wird. Er ist ewig, nicht an einen Körper gebunden, unteilbar, allmächtig, allweise und allgütig. Er hat alle Dinge geschaffen, sowohl die sichtbaren als auch die unsichtbaren, und er erhält sie auch. 3Dennoch sind da drei göttliche Personen desselben Wesens und derselben Macht, die auch gleich ewig sind: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. 4Den Begriff „Person“ verstehen wir so, wie ihn auch die Kirchenväter in ihren Schriften verwendet haben: Er bezeichnet nicht einen Teil oder eine Eigenschaft von etwas anderem, sondern etwas je Eigenständiges.

5Wir verurteilen alle Irrlehren, die gegen diesen Glaubensartikel aufgekommen sind. So verurteilen wir die Manichäer, die gelehrt haben, dass es zwei göttliche Prinzipien gibt, ein gutes und ein böses. Ebenso verurteilen wir die Valentinianer, die Arianer, die Eunominianer, die Muslime und alle, die ähnlich lehren. 6Auch verurteilen wir die Alt- und Neu-Samosatener, die behaupten, dass es nur eine göttliche Person gibt. Über das „Wort“ und über den Heiligen Geist formulieren sie spitzfindig und gottlos, dass sie keine gesonderten Personen sind, sondern dass „Wort“ (in Joh. 1) einfach ein gesprochenes Wort meint und dass der Geist eine erschaffene Regung in Geschöpfen ist.

Artikel 2: Die Erbsünde

1Auch lehren wir, dass nach Adams Sündenfall alle Menschen, die auf natürliche Weise gezeugt werden, mit Sünde zur Welt kommen. Das bedeutet: Sie haben von Mutterleib an keine Gottesfurcht und kein Gottvertrauen, sondern nur böse Neigungen. 2Auch lehren wir, dass dieses Übel der Erbsünde echte Schuld ist. Die Erbsünde verurteilt die Menschen und bringt denen, die nicht durch Taufe und Heiligen Geist wiedergeboren werden, den ewigen Tod.

3Wir verurteilen die Pelagianer und andere, die bestreiten, dass die Erbsünde wirklich Sünde ist. Sie vertreten auch die Ansicht, dass ein Mensch durch eigene Willenskraft vor Gott gerecht werden kann, und entwerten damit Christi Verdienst und Heilstaten.

Artikel 3: Gottes Sohn

1Auch lehren wir, dass das „Wort“, nämlich Gottes Sohn, im Leib der seligen Jungfrau Maria menschliche Natur angenommen hat. 2So sind zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, in der Einheit der einen Person untrennbar verbunden. Es ist der eine Christus, wirklich Gott und wirklich Mensch, geboren von der Jungfrau Maria. Er litt wirklich, starb am Kreuz und wurde begraben. 3So hat er [Gottes Zorn gestillt und] uns mit dem Vater versöhnt, denn er ist zu einem Opfer geworden nicht nur zur Sühnung der Erbsünde, sondern auch zur Sühnung aller Tatsünden der Menschen. 4Er fuhr in die Hölle hinab und ist wirklich auferstanden am dritten Tag. Danach ist er in den Himmel aufgefahren, um sich zur Rechten des Vaters zu setzen. Nun herrscht er für immer und ist Herr über alle Geschöpfe. Er heiligt die Gläubigen auf sich hin, 5indem er den Heiligen Geist in ihre Herzen schickt. Der Geist leitet sie, tröstet sie und erweckt sie zu neuem Leben; auch beschützt er sie auch vor dem Teufel und vor der Macht der Sünde. 6Christus wird für alle sichtbar zurückkommen, „zu richten die Lebendigen und die Toten…“ (s. Apostolisches Glaubensbekenntnis).

Artikel 4: Die Rechtfertigung

1Auch lehren wir, dass die Menschen nicht durch eigene Leistungen, Verdienste und Taten von Sünden frei und vor Gott gerecht werden können. Vielmehr werden sie aus Gnade gerecht wegen Christus durch den Glauben. 2Dieser Glaube weiß sich in Gnade zum ewigen Leben angenommen und von Sündenschuld befreit wegen Christus; der hat ja mit seinem Tod für unsere Sünden Genugtuung geleistet. 3Solchen Glauben rechnet uns Gott als Gerechtigkeit ihm gegenüber an (vgl. Römer 3 und 4).

Artikel 5: Der kirchliche Verkündigungsdienst

1Damit wir solchen Glauben erlangen, hat Gott den Dienst gestiftet, der das Evangelium verkündigt und die Sakramente reicht. 2Gott gibt uns nämlich den Heiligen Geist durch sein Wort und die Sakramente wie durch Werkzeuge. Der Geist aber wirkt bei denen, die das Evangelium hören, Glauben, wo und wann es Gott gut erscheint. 3Das Evangelium aber hat dies zum Inhalt: Gott rechtfertigt uns nicht wegen unserer Verdienste, sondern wegen Christus. Er rechtfertigt all diejenigen, die glauben, dass sie wegen Christus in die Gnade aufgenommen werden. Das entspricht Galater 3,14: „…damit wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben.“

4Wir verurteilen die Wiedertäufer und alle anderen, die meinen, dass der Heilige Geist die Menschen ohne äußerliches Wort erreicht durch geistliche Bereitung und Taten der Menschen.

Artikel 6: Der neue Gehorsam

1Auch lehren wir, dass solcher Glaube gute Früchte hervorbringen muss. Von Gott gebotene gute Werke sind nötig, weil Gott sie will. Wir sollen aber nicht darauf vertrauen, dass wir uns mit solchen Werken die Rechtfertigung vor Gott verdienen können. 2Sündenvergebung und Rechtfertigung werden nämlich allein durch den Glauben ergriffen, wie Christus bezeugt: „Wenn ihr dies alles getan habt, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte“ (Lukas 17,10). 3So lehren auch die Kirchenväter in ihren Schriften. Ambrosius zum Beispiel hat gesagt: „Es ist von Gott so eingerichtet, dass, wer an Christus glaubt, heil wird ohne Werk, allein durch den Glauben. Er empfängt die Sündenvergebung aus Gnade.“

Artikel 7: Die Kirche

1Auch lehren wir, dass es dauerhaft eine einzige heilige Kirche gibt. Die Kirche ist die Versammlung der Heiligen, wo das Evangelium rein verkündigt wird und wo die Sakramente [dem Evangelium gemäß] richtig verwaltet werden. 2Zur wahren Einheit der Kirche reicht es aus, in der Evangeliumsverkündigung und in der [schriftgemäßen] Sakramentsverwaltung übereinzustimmen. 3Es ist nicht nötig, dass überall dieselben menschlichen Traditionen und heiligen Handlungen gepflegt werden. 4Das entspricht dem Wort des Paulus: „Ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller…“ (Eph. 4,5-6).

Artikel 8: Was die Kirche ausmacht

1Zwar ist die Kirche im eigentlichen Sinn die Versammlung der wahrhaft gläubigen Heiligen. Weil sich aber in diesem Leben viele Heuchler und auch offensichtliche Sünder unter sie mischen, darf man die Sakramente auch dann empfangen, wenn untaugliche Amtsträger sie verwalten. So entspricht es dem Wort Christi: „Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer…“ (Matth. 23,2). 2Sowohl die Sakramente als auch das Wort wirken nämlich aufgrund von Christi Einsetzung und Befehl, selbst wenn schlechte Menschen sie darbieten.

3Wir verurteilen die Donatisten und andere, die bestreiten, dass der Dienst schlechter kirchlicher Amtsträger in Anspruch genommen werden darf, und die meinen, dass der Dienst Ungläubiger nutzlos und unwirksam ist.

Artikel 9: Die Taufe

1Über die Taufe lehren wir, dass sie heilsnotwendig ist. 2Auch lehren wir, dass durch die Taufe Gottes Gnade angeboten wird und dass Kinder getauft werden sollen. Denn wenn Kinder in der Taufe zu Gott gebracht werden, dann werden sie in Gottes Gnade aufgenommen.

3Wir verurteilen die Wiedertäufer, die die Kindertaufe missbilligen und behaupten, dass Kinder ohne Taufe gerettet werden können.

Artikel 10: Das Mahl des Herrn

1Über das Mahl des Herrn lehren wir, dass Leib und Blut Christi wirklich gegenwärtig sind: Sie werden beim Abendmahl [in der Gestalt von Brot und Wein] ausgeteilt und verzehrt.

2Wir missbilligen anders Lehrende.

Artikel 11: Die Beichte

1Über die Beichte lehren wir, dass der persönliche Zuspruch der Sündenvergebung beibehalten werden soll. Es ist aber nicht notwendig, dass sämtliche Sünden aufgezählt werden. 2Das ist auch gar nicht möglich, wie es im Psalm heißt: „Wer kann merken, wie oft er fehlet?“ (Psalm 19,13)

Artikel 12: Die Buße

1Über die Buße lehren wir, dass Umkehrwillige jederzeit Vergebung empfangen können für Sünden, die sie nach der Taufe begangen haben. 2Die Kirche muss bußbereiten Personen die Vergebung zusprechen. 3Buße im eigentlichen Sinn besteht aus diesen zwei Teilen: 4erstens die Reue bzw. das Erschrecken des Gewissens über die Sünde, 5zweitens der Glaube, der aus dem Evangelium bzw. dem Zuspruch der Sündenvergebung kommt. Der Glaube vertraut darauf, dass die Sündenschuld durch Christus erlassen ist, tröstet das Gewissen und befreit von Schrecken. 6Dann müssen gute Werke folgen, denn sie sind Früchte der Buße. Johannes der Täufer sagte: „Bringt rechtschaffene Frucht der Buße!“ (Matth. 3,8)

7Wir verurteilen die Wiedertäufer, die bestreiten, dass einmal Gerechtfertigte den Heiligen Geist wieder verlieren können. 8Ebenso verurteilen wir alle, die folgende Überzeugung vertreten: Einige Menschen erreichen in diesem Leben einen solchen Grad an Vollkommenheit, dass sie nicht mehr sündigen können.

9Wir verurteilen auch die Novatianer, weil sie Bußwillige nicht von Sünden, die nach der Taufe begangen wurden, lossprechen wollen. 10Auch werden diejenigen verworfen, die lehren, dass wir die Sündenvergebung nicht einfach durch Glauben empfangen, sondern dass wir uns die Gnade mit Wiedergutmachungs-Leistungen verdienen müssen.

Artikel 13: Der Sakramentsempfang

1Über den Sakramentsempfang lehren wir Folgendes: Die Sakramente sind nicht bloß eingesetzt als Bekenntniszeichen unter Menschen, sondern vor allen Dingen als Zeichen und Zeugnisse von Gottes Willen an uns. Sie werden gereicht, um bei denen, die sie empfangen, Glauben zu wecken und zu festigen. 2Darum soll man die Sakramente nicht empfangen ohne Vertrauen in die Verheißungen, die sie schenken und darbieten.

Artikel 14: Das kirchliche Amt

1Über das kirchliche Amt lehren wir, dass niemand in der Kirche öffentlich verkündigen oder Sakramente verwalten darf, ohne ordnungsgemäß berufen zu sein.

Artikel 15: Kirchliche Bräuche

1Über kirchliche Bräuche lehren wir: Bräuche, die ohne Sünde befolgt werden können und die dem Frieden sowie der guten Ordnung in der Kirche dienen, soll man befolgen, wie zum Beispiel bestimmte Feiertage. 2Jedoch unterweisen wir die Menschen in dieser Sache so, dass ihre Gewissen nicht beschwert werden und dass sie keinen kirchlichen Brauch für heilsnotwendig halten sollen. 3Ebenfalls lehren wir sie: Falls menschliche Traditionen gedacht sind für die Versöhnung mit Gott, für den Erwerb von Gnade und für die Sühnung von Sünden, stehen sie dem Evangelium und der Glaubenslehre entgegen. 4Gelübde, Speiseordnungen und Festtraditionen, die zum Erwerb von Gnade und zur Sühnung von Sünden eingesetzt wurden, sind daher unnütz und evangeliumsfeindlich.

Artikel 16: Angelegenheiten der Gesellschaft

1Über Angelegenheiten der Gesellschaft lehren wir, dass rechtmäßige Ordnungen in der menschlichen Gesellschaft gute Werke Gottes sind. 2Daher dürfen Christen regieren, Richter werden, nach kaiserlichen und anderen geltenden Gesetzen Recht sprechen, rechtmäßige Todesurteile fällen, rechtmäßige Kriege führen, Soldat werden, prozessieren, Eigentum besitzen, staatlich verordnete Eide leisten und heiraten.

3Wir verurteilen die Wiedertäufer, die Christen solche gesellschaftlichen Aktivitäten untersagen. 4Auch verurteilen wir diejenigen, die die evangeliumsgemäße Vollkommenheit nicht mit Gottesfurcht und Glauben verbinden, sondern mit dem Verlassen von gesellschaftlichen Bindungen [wie Haus und Hof, Frau und Kind]. Das Evangelium lehrt nämlich [nicht eine äußerliche und zeitliche Gerechtigkeit, sondern] die ewige Gerechtigkeit des Herzens.5Dabei löst das Evangelium keineswegs gerechte politische und wirtschaftliche Strukturen auf, sondern fordert vielmehr, sie als Gottes Ordnungen zu bewahren und im Rahmen dieser Ordnungen Liebe zu üben. 6Daher müssen Christen auch ihren rechtmäßigen Regierungen gehorchen, wenn das ohne Sünde möglich ist. 7Falls es aber nicht ohne Sünde möglich ist, müssen sie Gott mehr gehorchen als den Menschen (vgl. Apostelgesch. 5,29).

Artikel 17: Christi Wiederkommen zum Gericht

1Auch lehren wir, dass Christus am Ende der Weltzeit zum Gericht erscheinen und alle Toten auferwecken wird. 2Den auserwählten Frommen wird Christus dann ewiges Leben und dauerhafte Freude geben. 3Die unfrommen Menschen aber und die bösen Geister wird er zu ewiger Strafe verurteilen. 4Wir verurteilen die Wiedertäufer, die meinen, dass die Strafen der Verdammten und der bösen Geister einmal zuende sein werden. 5Auch verurteilen wir diejenigen, die jetzt folgende jüdische Lehrmeinungen verbreiten: Die Frommen werden vor der Auferstehung der Toten mit der Weltherrschaft betraut, die Unfrommen aber überall unterdrückt werden.

Artikel 18: Der freie Wille

1Über den freien Willen lehren wir Folgendes: Der Mensch besitzt eine gewisse Willensfreiheit, sich in der Gesellschaft recht zu verhalten und Dinge, die der Vernunft unterliegen, zu entscheiden. 2Jedoch steht es ohne den Heiligen Geist nicht in seiner Macht, sich vor Gott recht zu verhalten. [Ohne den Heiligen Geist kann er nicht Gott fürchten, glauben oder seine angeborenen bösen Lüste aus dem Herzen werfen.] Die menschliche Natur erkennt nämlich nicht, was Gottes Geist gemäß ist (vgl. 1. Kor. 2,14). 3Nur dann wird ein Mensch zum rechten Verhalten vor Gott fähig, wenn der Heilige Geist durch das Wort in sein Herz kommt. 4Dasselbe hat Augustinus im dritten Buch Hypognosticon wortreich ausgeführt. [Damit man sieht, dass wir nichts Neues lehren, zitieren wir daraus.] Er schreibt: „Wir bekennen, dass alle Menschen in gewisser Hinsicht einen freien Willen haben und vernünftig entscheiden können. Zwar befähigt der freie Wille niemanden, hinsichtlich göttlicher Angelegenheiten wie Gottesliebe oder Gottesfurcht etwas anzustreben und durchzuführen, wohl aber hinsichtlich guter oder auch böser Werke für dieses Leben. 5Mit guten Werken meine ich alles, was aus natürlichen guten Anlagen entspringt, wie der Wille, auf dem Feld zu arbeiten, zu essen, zu trinken, Freundschaften zu pflegen, Kleidung zu besitzen, ein Haus zu bauen, zu heiraten, Vieh zu halten, handwerkliche Fähigkeiten zu erwerben und was sonst noch an Gutem zum Leben in dieser Welt gehört. 6Freilich gibt es das alles nicht ohne Gottes Herrschaft; im Gegenteil: Von ihm her und durch ihn besteht es und hat seinen Ursprung. Mit bösen Werken meine ich zum Beispiel den Willen, einen Götzen zu verehren oder zu töten.“

Artikel 19: Die Ursache der Sünde

1Über die Ursache der Sünde lehren wir Folgendes: Obwohl Gott die ganze Schöpfung erschafft und erhält, liegt die Ursache der Sünde (nicht bei ihm, sondern) beim Wollen böser Wesen, nämlich beim Wollen des Teufels und gottloser Menschen. Ohne Gottes Beistand wendet man sich von Gott ab, wie Christus spricht: „Wenn der Teufel Lügen redet, so spricht er aus sich selbst heraus“ (Joh. 8,44).

Artikel 20: Glaube und gute Werke

1Zu Unrecht wirft man uns vor, dass wir gute Werke verbieten. 2Unsere Schriften über die Zehn Gebote und ähnliche Themen bezeugen nämlich, dass wir für alle Lebensverhältnisse und Aufgabenbereiche lehren, welche Werke Gott jeweils gefallen. 3Darüber lehrten die Prediger früher wenig, forderten stattdessen vor allem kindische und nutzlose Werke wie bestimmte Feiertage, bestimmte Fastenzeiten, Bruderschaften, Pilgerreisen, Heiligenverehrung, Rosenkränze, Mönchtum und Ähnliches. 4Durch entsprechende Unterweisung haben unsere Gegner aber bereits dazugelernt und predigen die nutzlosen Werke nicht mehr so wie früher. 5Auch haben sie angefangen vom Glauben zu reden, über den zuvor sonderbares Schweigen herrschte. 6Nun lehren sie, dass wir nicht ausschließlich durch Werke gerecht werden, sondern fügen Glaube und Werke zusammen. Sie sagen: Wir werden durch Glaube und Werke gerecht. 7Diese Lehre ist akzeptabler als die frühere; sie kann mehr trösten als die alte Lehre. 8Alle müssen zugeben, dass die Lehre vom Glauben, die in der Kirche erstrangig wichtig ist, sehr lange ignoriert wurde. In den Predigten herrschte tiefstes Schweigen über die Glaubensgerechtigkeit, und nur die Lehre von den Werken wurde behandelt. Deswegen haben wir den Gemeinden folgende beiden Dinge vom Glauben ans Herz gelegt.

9Erstens: Unsere Werke können nicht mit Gott versöhnen bzw. Sündenvergebung und Gnade verdienen. Gnade erlangen wir nur durch den Glauben, nämlich wenn wir darauf vertrauen, dass wir wegen Christus aus Gnade angenommen werden. Er allein ist zum Mittler und Sühnopfer bestellt; durch ihn wird der Vater versöhnt. 10Daraus folgt: Wer sich darauf verlässt, durch Werke Gnade zu verdienen, der verachtet Christi Verdienst und Gnade, denn er strebt ohne Christus durch menschliche Kräfte den Weg zu Gott an. Aber Christus hat ja von sich gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14,6). 11Paulus lehrt so vom Glauben überall in seinen Briefen, zum Beispiel in Epheser 2,8: „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch den Glauben, nicht aus den Werken…“ 12Damit man uns aber nicht auslacht und behauptet, wir hätten eine neue Paulus-Deutung erfunden, weisen wir darauf hin, dass auch die Kirchenväter das alles bezeugen. 13So hat Augustinus in vielen seiner Schriften die Gnade und die Glaubensgerechtigkeit gegen die Verdienste aus Werken verteidigt. [Die ganze Schrift „Geist und Buchstabe“ beweist das.] 14Ähnlich lehrt Ambrosius in seinem Werk „Die Berufung der Heiden“ und anderswo. In „Die Berufung der Heiden“ äußert er sich folgendermaßen: „Wenn die Rechtfertigung vorausgehende Verdienste erforderte, dann würde die Erlösung durch Christi Blut wertlos, und Gottes Barmherzigkeit fiele den vorrangigen menschlichen Werken zum Opfer. Die Rechtfertigung, die doch eigentlich aus Gnade geschieht, wäre dann kein großzügiges Geschenk mehr, sondern ein erarbeiteter Lohn.“ 15Zwar halten unangefochtene Leute diese Lehre für unbedeutend, aber fromme und geängstete Gewissen merken, dass sie viel Trost spendet. Ein gutes Gewissen stellt sich nämlich nicht durch irgendwelche Werke ein, sondern nur durch den Glauben. Nur so finden Angefochtene die Gewissheit, dass sie wegen Christus einen gnädigen Gott haben. 16Das lehrt auch Paulus: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott“ (Römer 5,1). 17Diese ganze Lehre muss auf den inneren Kampf erschrockener Gewissen bezogen werden; ohne diesen Kampf kann man sie nicht begreifen. 18Deswegen haben die unangefochtenen und weltlich gesinnten Menschen keine gute Meinung von dieser Lehre. Sie bilden sich ein, dass christliche Gerechtigkeit dasselbe ist wie bürgerliche oder philosophische Gerechtigkeit. 19Einst quälte man die Gewissen mit der Lehre der Werkgerechtigkeit; vom Trost des Evangeliums hörten sie nichts. 20Manche trieb ihr Gewissen in die Einsiedelei oder ins Kloster; dort hofften sie, sich mit einem Mönchsleben Gnade erwerben zu können. 21Andere dachten sich andere Werke aus, um Gnade zu verdienen und Genugtuung für ihre Sünden zu erlangen. 22Daher ist es dringend erforderlich, die Lehre vom Glauben weiterzugeben und neu ins Bewusstsein zu rufen. Die ängstlichen Gewissen sollen nicht auf Trost verzichten müssen, sondern wissen, dass sie durch den Glauben an Christus Gnade und Vergebung der Sünden empfangen. 23Die Leute werden auch unterwiesen, dass der Begriff „Glaube“ nicht nur die Kenntnisnahme der Fakten bezeichnet[, nämlich dass Christus gelitten hat und von den Toten auferstanden ist]. Solche Kenntnisnahme von Fakten ist auch bei gottlosen Menschen und beim Teufel vorhanden. Der wirkliche Glaube vertraut nicht nur den Fakten als solchen, sondern auch ihrer Auswirkung entsprechend dem hier behandelten Artikel von der Sündenvergebung – dass wir nämlich wegen Christus Gnade, Gerechtigkeit und Vergebung der Sünden haben. 24Wer nun weiß, dass er wegen Christus einen gnädigen Vater hat, der kennt Gott wirklich. Er weiß sich von ihm umsorgt und ruft ihn an. Kurz: Er ist nicht gottlos wie die Heiden. 25Die bösen Geister aber und die gottlosen Menschen können diesen Artikel von der Sündenvergebung nicht glauben. Stattdessen hassen sie Gott wie einen Feind, rufen ihn nicht an und erwarten nichts Gutes von ihm. 26[Entsprechend wird im Hebräerbrief gelehrt, dass der Glaube nicht nur ein Faktenwissen, sondern auch die Zuversicht zu Gott ist, dass wir empfangen, was er verspricht (vgl. Hebr. 11,1).] Auch Augustinus unterweist seine Leser so über den Glaubensbegriff. Er lehrt, dass in der Heiligen Schrift das Wort „Glaube“ nicht im Sinne einer Kenntnisnahme von Fakten, sondern im Sinne von Vertrauen verstanden werden muss. Solches Vertrauen tröstet und richtet verstörte Seelen auf.

27Zweitens: Wir lehren, dass gute Werke getan werden müssen – aber nicht, weil wir hoffen, durch sie Gnade zu verdienen, sondern weil Gott sie möchte. 28Vergebung der Sünden und Gnade erlangen wir allein durch den Glauben. 29Weil aber durch den Glauben auch der Heilige Geist empfangen wird, werden die Herzen erneuert und bekleiden sich mit einer neuen Gesinnung. So sind sie in der Lage, gute Werke hervorzubringen. 30Ambrosius hat es so formuliert: „Der Glaube ist des guten Wollens und des rechten Handelns Ursprung.“ 31Ohne den Heiligen Geist sind menschliche Kräfte nämlich ganz von Gottlosigkeit durchdrungen; sie sind zu schwach, um in Gottes Augen gute Werke hervorzubringen. 32Zudem stehen sie unter dem Einfluss des Teufels. Er treibt die Menschen zu vielfältigen Sünden, unfrommen Meinungen und offensichtlichen Übeltaten. 33Das kann man bei den Philosophen sehen: Obwohl sie versuchten, von sich aus ehrenwert zu leben, schafften sie es doch nicht, sondern beschmutzten sich mit vielen offensichtlichen Übeltaten.

34So beschränkt ist der Mensch, wenn er ohne Glauben bzw. Heiligen Geist lebt und sich allein von menschlichen Kräften leiten lässt. 35Von daher ist es offensichtlich, dass man dieser Lehre nicht vorwerfen kann, sie verurteile gute Werke. Vielmehr muss man sie überschwänglich dafür loben, dass sie zeigt, wie wir gute Werke fertigbringen können. 36Denn ohne Glauben ist es der menschlichen Natur überhaupt nicht möglich, nach dem Ersten und Zweiten Gebot zu leben. 37Ohne Glauben ruft keiner Gott an, erwartet nichts von Gott, erträgt nicht das Kreuz[, liebt nicht den Nächsten, richtet anbefohlene Ämter nicht aus, ist nicht gehorsam, meidet nicht böse Lust und dergleichen]. Stattdessen sucht die menschliche Natur menschlichen Schutz und vertraut auf ihn. 38Auf diese Weise regieren im Herzen alle Leidenschaften und menschlichen Ratschläge, denn es fehlen Glaube und Gottvertrauen. 39So hat auch Christus gesagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh. 15,5). 40Und die Kirche singt: „Ohn dein’ Beistand, Hilf und Gunst / ist all unser Tun und Kunst / vor Gott ganz und gar umsonst.“

Artikel 21: Die Verehrung von Heiligen

1Über die Verehrung von Heiligen lehren wir Folgendes: Man kann sich an Heilige erinnern, um ihrem Glauben nachzueifern. [Wir werden im Glauben gestärkt, wenn wir sehen, wie sie Gnade erfuhren und ihnen geholfen wurde.] Man kann sich auch die guten Werke der Heiligen zum Vorbild nehmen; das soll entsprechend der jeweiligen gesellschaftlichen Stellung geschehen. Zum Beispiel kann der deutsche Kaiser, wenn er sein Land gegen die Türken verteidigt, dem David nacheifern; beide sind ja Könige[, die ihr Volk beschützen müssen]. 2Aber die Heilige Schrift lehrt nicht, dass wir Heilige anrufen oder von ihnen Hilfe erbitten sollen, sondern sie stellt uns allein Christus hin als Mittler, Sühneopfer, Priester und Fürsprecher. [Es steht geschrieben: „Es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus“ (1. Tim. 2,5; s. a. Römer 8,34).] 3Der soll angerufen werden, und er hat versprochen, dass er unsere Bitten erhören wird. Wenn wir ihn in allen Nöten anrufen, dann gefällt ihm das sehr. 4Im 1. Johannesbrief steht: „Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist“ (1. Joh. 2,1).

Schluss des ersten Teils

1So weit eine grobe Zusammenfassung unserer Lehre. [Sie wird in unseren Gemeinden zu rechter christlicher Unterweisung, zum Trost der Gewissen und zur Besserung der Gläubigen gepredigt und gelehrt. Wir wollen ja unsere eigenen Seelen und Gewissen nicht gern vor Gott in Gefahr bringen, indem wir Gottes Namen und Wort missbrauchen. Auch wollen wir unsern Kindern und Nachkommen keine andere Lehre vererben als die, die Gottes Wort und der christlichen Wahrheit entspricht.] In unserer Lehre lässt sich nichts finden, was von der Heiligen Schrift oder von der allgemeinen Kirche oder auch von der römischen Kirche abweicht, soweit wir das aus den Väterschriften ersehen können. Insofern urteilen jene zu streng, die fordern, dass man uns als Ketzer ansehen muss. 2Der ganze Streit betrifft eigentlich nur einige wenige Missstände, die sich ohne sicheren Rückhalt in den Gemeinden eingeschlichen haben. Wo wir nicht übereinstimmen, sollten die Bischöfe Milde walten lassen und uns mit unserem Bekenntnis dulden. Nicht einmal das Kirchenrecht ist so hart zu verlangen, dass überall dieselben heiligen Handlungen praktiziert werden. 3Auch sind die kirchlichen Handlungen nie überall gleich gewesen. 4Im übrigen werden bei uns die meisten alten Riten eingehalten. Es handelt sich daher um eine Verleumdung, wenn man uns vorwirft, wir würden sämtliche alten heiligen Handlungen und Ordnungen abschaffen. 5Jedoch gibt es öffentliche Klagen, dass den allgemein verbreiteten Riten manche Missstände anhaften. Die können wir nicht guten Gewissens billigen und haben die betreffenden Riten deshalb in gewissem Maß korrigiert.

Quelle: Sola gratia Verlag https://www.sola-gratia-verlag.de

Zusammenfassung des zweiten Teils

Während die Artikel 1-21 vom Glauben und von der Lehre der Kirche handeln, ist im zweiten Teil des Augsburger Bekenntnisses zu Missbräuchen im kirchlichen Leben Stellung genommen worden. Im Folgenden wird der Inhalt der umfangreichen Artikel 22-28 jeweils kurz umschrieben:

Artikel 22: Von beiderlei Gestalt des Altarsakraments

Den Laien wird bei uns das Sakrament in beiderlei Gestalt des Brotes und des Weines gereicht. Denn das ist ein klarer Befehl Christi: „Trinket alle daraus“ (Matthäus 26,27). Christus gebietet in klaren Worten von dem Kelch, dass sie alle daraus trinken sollen. Und damit niemand diese Worte anfechten könne, als gehöre der Kelch allein den Priestern, zeigt Paulus 1. Korinther 11, dass die ganze Gemeinde der Korinther Brot und Wein genossen hat. Dieser Brauch ist auch lange in der Kirche geblieben, wie man durch die Schriften der Väter beweisen kann. Man soll daher das Christenvolk, wenn es das heilige Abendmahl nach Christi Einsetzung begeht, nicht zwingen, wider Christi Anordnung zu handeln.

Artikel 23: Vom Ehestand der Priester

Gott hat den Ehestand gestiftet (1. Mose 1). Ehelos bleiben ist eine besondere Gabe, die nicht jeder Mensch von Gott bekommt (Matthäus 19,12). Es ist nicht recht, wenn der Mensch aus eigenem Willen durch Gelübde ehelos bleiben will, es sei denn, Gott hat ihn zur Ehelosigkeit bestimmt. Wo trotzdem eigenmächtig Ehelosigkeit gelobt wurde, ist viel Not und Unzucht entstanden. Gottes Wort und Gebot können durch kein menschliches Gesetz oder Gebot gehindert werden. Darum haben aus diesen und aus anderen Gründen die Priester und Geistlichen geheiratet. In der christlichen Kirche konnten von Anfang an die Geistlichen verheiratet sein. So sagt Paulus: „Es soll ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann“ (1. Timotheus 3, 2). Es sind aber erst vor vierhundert Jahren(im Jahre 1074) die Priester mit Gewalt vom Ehestand abgedrungen worden.

Artikel 24: Von der Messe (Vom Gottesdienst)

Die Messe ist von den Evangelischen nicht abgeschafft worden, sondern wird mit größerer Andacht als bei den Widersachern gehalten. Die gottesdienstlichen Formen sind nicht merklich geändert worden. Man hat aber den Irrtum abgeschafft, die Messe sei ein Opfer für Lebendige und Tote, mit dem man Sünde wegnehmen und Gott versöhnen könne. Die Schrift zeigt an vielen Orten an, dass es kein anderes Opfer für die Erbsünde und alle anderen Sünden gibt als allein den Tod Christi (Hebräer 9, 28; 10,10; 10,14). Die Leute werden über die Einsetzung und im rechten Gebrauch des Abendmahls unterwiesen.

Artikel 25: Von der Beichte

Bei uns wird das Altarsakrament erst gereicht, nachdem die Leute zuvor gebeichtet haben und absolviert worden sind. Dabei wird ihnen gezeigt, wie tröstlich das Wort der Absolution ist, in dem wir mehr als das Wort eines Menschen hören, nämlich Gott selbst, der die Sünde vergibt. Von niemandem kann verlangt werden, alle Sünden namentlich aufzuzählen, weil dies wegen der Verderbnis der menschlichen Natur unmöglich ist. Der Psalm spricht (19,13): „Wer kann merken, wie oft er fehlet? “ Und Jeremia sagt (17, 9): „Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen? „

Artikel 26: Vom Unterschied der Speisen (und von Kirchensatzungen)

Es ist schriftwidrig, wenn man Fastengebote, Ordensregeln und ähnliche menschliche Satzungen als heilsnotwendig angesehen und ihre Nichtbeachtung für Sünde ausgegeben hat, und wenn man umgekehrt die eigentlichen guten Werke, die Arbeit des Hausvaters, das Gebären und Erziehen der Kinder durch die Mutter oder die Regierung eines Landes durch die Obrigkeit als nur „weltliche“ und unvollkommene Werke gegenüber jenen scheinbar heiligen Werken herabgesetzt hat. Der Artikel legt weiterhin dar, was die evangelisch-lutherische Kirche unter leiblicher Übung, Zucht und Askese versteht: Das heilige Kreuz zu erleiden, zu fasten und andere Übungen zu halten, damit wir nicht Ursache zur Sünde geben. Dadurch halten wir den Leib geschickt, dass er nicht verhindere, was einem jeden in seinem Stand zu tun befohlen ist. Es wird also nicht das Fasten selbst verworfen, sondern nur sein Missbrauch als ein verdienstvolles und auf bestimmte Zeiten festgelegtes Werk.

Artikel 27: Von Klostergelübden

Es war irrig, wenn man die Klostergelübde der Taufe gleichstellte, wenn man also lehrte, man könne mit dem Klosterleben Vergebung der Sünden und Rechtfertigung vor Gott verdienen. Wer durch Gelübde vor Gott gerechtfertigt werden will, ist von Christus abgekommen, raubt Christus, der allein gerecht macht, seine Ehre und gibt diese Ehre seinen Gelübden. Der Stand der Mönche ist keineswegs der Stand der Vollkommenheit. Die christliche Vollkommenheit besteht darin, dass man Gott ernstlich fürchtet und doch um Christi willen herzliches Vertrauen zu Gott fasst, dass man in aller Trübsal auf seine Hilfe hofft, mit Fleiß gute Werke tut und seinen Beruf ausübt.

Artikel 28: Von der Gewalt der Bischöfe

Unsere Kirche hält unbedingt fest an der Unterscheidung der beiden Regimente (Regierweisen), die Gott gegeben hat, des geistlichen und des weltlichen Regiments. Das geistliche Regiment besteht in dem Befehl und in der Macht, das Evangelium zu predigen, Sünde zu vergeben und zu behalten, die Sakramente zu reichen und zu handeln, die Lehre, die dem Evangelium zuwider ist, zu verwerfen, die Gottlosen, deren gottloses Wesen offenbar ist, aus der christlichen Gemeinde auszuschließen. Ihm ist keine menschliche Gewalt gegeben. Es wirkt allein durchs Wort. Das weltliche Regiment schützt nicht die Seelen, sondern Leib und Gut gegen äußerliche Gewalt mit dem Schwert und irdischen Strafen. Beide Regimente stammen von Gott. Sie dürfen nicht miteinander vermengt werden (Lukas 12, 14; Johannes 18, 36; 2. Korinther 10, 4). Die geistliche Gewalt soll nicht in das Amt der weltlichen Gewalt, die weltliche Gewalt soll nicht in das Amt der geistlichen Gewalt greifen. Wo das geistliche Regiment etwas gegen das Evangelium lehrt oder tut, haben wir den Befehl, dass wir ihm nicht gehorchen (Matthäus 7,15; Galater 1, 8; 2. Korinther 13, 8). Wo es Kirchenordnungen und Zeremonien einführt, dürfen sie nicht wider das Evangelium sein. Damit in der Kirche keine Unordnung und kein wüstes Wesen (zerstörerische Willkür) sei, soll man sich um der Liebe und um des Friedens willen unter sie fügen. Quelle: Evangelisches Gesangbuch

Quelle: Velkd: https://www.velkd.de/theologie/augsburger-bekenntnis.php )

Zweiter Teil: Artikel über die Bereinigung von Missständen

1Unsere Gemeinden weichen in keinem einzigen Glaubensartikel von [der Heiligen Schrift und] der allgemeinen Kirche ab. Sie vermeiden lediglich ein paar Missstände, die im Lauf der Zeit gegen den Geist des kanonischen Rechts eingerissen sind [und zum Teil mit Gewalt aufgerichtet wurden]. Darum bitten wir kaiserliche Majestät um gütiges Gehör sowohl für das, was wir geändert haben, als auch für unsere Gründe dafür, damit die Leute sich nicht gegen ihr Gewissen nach diesen Missständen richten müssen. 2Auch wolle kaiserliche Majestät denen keinen Glauben schenken, die merkwürdige Gerüchte verbreiten, um Hass gegen uns zu entfachen. 3Auf diese Weise haben sie gute Leute verwirrt und damit von Anfang an diese Spaltung verursacht. Mit denselben Machenschaften versuchen sie jetzt, die Zwietracht noch zu vertiefen. 4Nun kann kaiserliche Majestät zweifellos in Erfahrung bringen, dass Lehre und Praxis bei uns annehmbarer sind, als schlechte und böswillige Menschen es behaupten. 5Die Wahrheit lässt sich ja sowieso nicht aus Gerüchten des Volkes und aus übler Nachrede der Feinde erheben. [Kaiserliche Majestät möge erkennen: Gottes Wort, das mehr geachtet werden muss als jede menschliche Gewohnheit, drängt uns, entsprechende Änderungen zu gestatten.] 6Es ist leicht einzusehen: Nichts trägt mehr dazu bei, die Würde heiliger Handlungen zu wahren sowie Ehrfurcht und Frömmigkeit im Volk zu fördern, als wenn die Riten in den Gemeinden auf rechte Weise gehalten werden.

Artikel 22: Die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt

1Den nicht ordinierten Gemeindegliedern geben wir beim Abendmahl beiderlei Gestalt des Sakraments (also auch Christi Blut im Wein). Der Herr selbst hat dies angeordnet mit den Worten: „Trinket alle daraus!“ (Matth. 26,27). 2Christus hat somit eindeutig geboten, dass alle trinken sollen. 3Und damit niemand leichtfertig behaupten kann, dieses Gebot beziehe sich nur auf Priester, verweisen wir auf Paulus, der im 1. Korintherbrief als Beispiel anführt, dass eine ganze Gemeinde beiderlei Gestalt gebraucht (1. Kor. 11,20 ff). 4Lange Zeit wurde diese Praxis in der Kirche beibehalten; es ist ungewiss, wer sie wann geändert hat; jedoch hat Kardinal Cusanus belegt, wann diese Praxis offiziell angenommen wurde. 5Cyprian hat in seinen Schriften mehrfach bezeugt, dass dem Kirchenvolk Christi Blut gereicht wird. 6Auch Hieronymus bezeugt das, wenn er sagt: „Die Priester dienen der Eucharistie und teilen dem Volk das Blut Christi aus.“ 7Papst Gelasius ordnete sogar an, dass das Sakrament nicht zerteilt werden soll (Distinctio 2 über die Konsekration, Kapitel „Comperimus“). Man findet auch nirgends ein kanonisches Gesetz, wonach das Abendmahl nur unter einer Gestalt empfangen werden soll. 8Aber nach gar nicht so altem Brauch hält man es anders. 9Es steht jedoch fest, dass ein Brauch, der gegen Gottes Gebot eingeführt wurde, nicht geduldet werden darf, wie das kanonische Recht lehrt (Distinctio 8, Kapitel „Veritate“ ff). 10Dieser Brauch ist tatsächlich nicht nur gegen die Heilige Schrift, sondern auch gegen altes Kirchenrecht sowie gegen das Beispiel der Kirche eingeführt worden. 11Daher hätten diejenigen, die das Sakrament gern in beiderlei Gestalt empfangen wollten, niemals gegen ihr Gewissen davon abgehalten werden dürfen. 12Weil nun die Zerteilung des Sakraments nicht mit der Einsetzung Christi zusammenpasst, pflegt man bei uns auch die üblichen Prozessionen (mit dem Leib Christi) zu unterlassen.

Artikel 23: Die Priesterehe

1Das schlechte Beispiel von Priestern, die nicht sexuell enthaltsam leben, hat zu öffentlichen Klagen geführt. [Bei jedermann hohen oder niedrigen Standes hat es gewaltige Klagen gegeben über die große Unzucht und den wilden Lebenswandel von Priestern, die nicht keusch bleiben konnten, und tatsächlich ist es zu unüberbietbaren gräulichen Lastern gekommen.] 2Aus diesem Grund hat auch Papst Pius II. geäußert, es gebe zwar einige Gründe dafür, den Priestern die Ehe vorzuenthalten, aber es gebe noch viel mehr Gründe, die Priesterehe wieder zuzulassen. So jedenfalls hat Platina es überliefert. [Zweifellos hat Papst Pius, ein verständiger und weiser Mann, dieses Wort aus großer Sorge gesprochen.] 3Weil nun unsere Priester solchen Anstoß vermeiden wollen, heiraten sie und lehren, dass sie das auch dürfen. Sie tun es erstens deshalb, weil Paulus sagt: 4„Um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben“ (1. Kor. 7,2). Ebenso: „Es ist besser zu heiraten als sich in Begierde zu verzehren“ (1. Kor. 7,9). Und sie tun es zweitens deshalb, weil Christus spricht: 5„Dies Wort fassen nicht alle“ (Matth. 19,11). Dort lehrt er, dass nicht alle Menschen fähig sind, ehelos zu leben, weil Gott den Menschen zur Fortpflanzung geschaffen hat (vgl. 1. Mose 1,28). 6Die Schöpfung kann ja nicht aus menschlichem Vermögen verändert werden, [wie die Erfahrung sehr klar zeigt,] nur Gott kann das tun und schenken. [Die Folgen sind bekannt, viele haben es eingestanden: bei einigen ein gutes, ehrbares und diszipliniertes Leben sowie ein christliches, ehrliches und redliches Verhalten, bei vielen anderen eine gräuliche, schreckliche Unruhe und Gewissensqual am Lebensende.] 7Darum sollen diejenigen, die sich nicht zur Ehelosigkeit eignen, heiraten. 8Kein menschliches Gesetz und kein Gelübde kann Gottes Gebot und Ordnung außer Kraft setzen. 9Aus diesen Gründen lehren unsere Priester, dass sie heiraten dürfen.

10Unbestritten sind die Priester [und Diakone] zur Zeit der Alten Kirche verheiratet gewesen. 11Paulus hat gesagt, dass einer zum Bischof gewählt werden soll, der verheiratet ist (vgl. 1. Tim. 3,2). 12In Deutschland sind die Priester erstmals vor vierhundert Jahren zum Zölibat gezwungen worden. Sie waren so sehr dagegen, dass sie im Zorn beinahe über den Überbringer des päpstlichen Edikts, Erzbischof Moguntinus [von Mainz], hergefallen wären. 13Die Sache ist so schlimm gelaufen, dass nicht bloß Ehen für die Zukunft untersagt wurden, sondern dass man auch bestehende Ehen auflöste – gegen alles göttliche und menschliche, ja auch kanonische Recht, das nicht einfach nur von Päpsten, sondern von hochehrwürdigen Synoden erlassen worden ist. [Auch haben viele hochrangige, gottesfürchtige und verständige Leute oft Bedenken geäußert, dass so ein erzwungener Zölibat, so ein Vorenthalten des Ehestands, den Gott doch selbst eingesetzt und freigestellt hat, nichts Gutes hervorbringt, sondern große schlimme Laster und viel Arges.] 14[Im Hinblick auf kaiserliche Majestät trösten wir uns untertänig damit, dass er als ein christlicher und hochlöblicher Kaiser gnädig dies beherzigen werde:] Weil die menschliche Natur in der alternden Welt immer schwächer wird, muss man vorausschauend handeln und verhindern, dass sich nicht immer mehr schlimme Dinge in Deutschland einschleichen. 15Gott hat ja auch die Ehe als Heilmittel gegen die menschliche Schwäche eingesetzt. 16Das kanonische Recht selbst sagt: Manchmal muss man alte Strenge in späteren Zeiten lockern, weil den Menschen nicht mehr so viel zugemutet werden kann; danach sollte man in dieser Frage handeln. [Was sollte die Ehe von Priestern und anderen Geistlichen auch schon der allgemeinen Kirche für Nachteile bringen – vor allem die Ehe von Gemeindepfarrern, aber auch von anderen, die der Kirche dienen sollen?] 17Es könnte den Gemeinden künftige an Pastoren fehlen, wenn ihnen noch länger die Ehe verwehrt wird. 18Da haben wir also Gottes Gebot, der alte Brauch der Kirche ist bekannt, ein unreiner Zölibat führt zu vielen Skandalen wie Ehebruch und anderen strafwürdigen Vergehen – man kann sich deshalb nur wundern, dass gegen nichts mit größerer Härte vorgegangen wird als gegen die Priesterehe. 19Gott hat geboten, die Ehe in Ehren zu halten. 20In [den kaiserlichen Rechten und in] allen wohl verfassten Staaten hat die Ehe per Gesetz eine höchst ehrenwerte Stellung, selbst bei heidnischen Völkern. 21Aber nun werden Priester[, die man doch mehr als andere schonen sollte,] gegen den Geist des kanonischen Rechts mit schwersten Strafen gequält, nur weil sie geheiratet haben. 22Paulus nennt es eine „teuflische Lehre“, wenn die Ehe verboten wird (vgl. 1. Tim. 4,1-3). [Und Christus sagt, dass der Teufel von Anbeginn ein Mörder ist (Joh. 8,44).] 23Das kann man jetzt leicht verstehen, wo das Eheverbot mit schrecklichen Hinrichtungen durchgesetzt wird.

24Aber kein menschliches Gesetz kann Gottes Gebot außer Kraft setzen, und ebensowenig vermag das ein Gelübde. 25Entsprechend rät Cyprian, dass Nonnen, die ihr Keuschheitsgelübde nicht einhalten können, heiraten sollen. Er hat sich folgendermaßen geäußert: „Wenn sie nun nicht durchhalten wollen oder können, dann ist es besser, sie heiraten, als dass sie aufgrund ihrer sexuellen Begierden ins Feuer fallen. Keinesfalls dürfen sie ihren Brüdern oder Schwestern zum Stolperstein werden.“ (Erstes Buch der Briefe, Brief 11) 26Das kanonische Recht urteilt sehr nachsichtig über diejenigen, die ein Gelübde abgelegt haben, als sie noch nicht volljährig waren. Das ist bisher fast immer der Fall gewesen.

Artikel 24: Die Messe

1Man beschuldigt unsere Gemeinden zu unrecht, sie hätten die Messe abgeschafft. Vielmehr haben wir den Messgottesdienst beibehalten und feiern ihn mit höchster Ehrerbietung. 2Es werden dabei auch fast alle üblichen heiligen Handlungen eingehalten. Lediglich haben wir hier und da die lateinischen Gesängen mit deutschen ergänzt; sie sind zur Belehrung des Kirchenvolks hinzugefügt worden. 3Das ist ja der vorrangige Zweck von Zeremonien, dass die Unwissenden belehrt werden. 4Auch Paulus ordnete an, dass im Gottesdienst eine Sprache gebraucht werden soll, die die Leute verstehen (vgl. 1. Kor. 14,9ff.19). 5Unser Kirchenvolk ist es gewohnt, gemeinsam das Altarsakrament zu empfangen, wann immer zum Sakramentsempfang Bereite da sind; auch das fördert die Ehrerbietung und Ehrfurcht bei den Gottesdiensten. 6Auch lassen wir niemanden zum Sakrament zu, der nicht vorher geprüft und vernommen wurde. 7Die Leute werden auch über die rechte Würdigkeit und den rechten Gebrauch des Altarsakraments belehrt: Sie erfahren, wie sehr es ängstliche Gewissen tröstet. So lernen sie, Gott zu vertrauen sowie alles Gute von ihm zu erwarten und zu erbitten. [Dabei geschieht auch Unterricht gegen fremde und falsche Lehre vom Sakrament.] 8Solcher Gottesdienst erfreut Gott, und solcher Gebrauch des Altarsakraments nährt die Liebe zu Gott. 9So feiern wir unsere Messgottesdienste ganz offensichtlich nicht weniger andächtig als unsere Gegner.

10Nun ist bekannt, dass es schon länger folgende öffentliche und weitreichende Klage unter allen vernünftigen Leuten gibt: Die Messgottesdienste werden schrecklich entweiht, weil man sie mit Geschäftemacherei verknüpft. 11Es ist kein Geheimnis, wie weit dieser Missbrauch in allen Gotteshäusern um sich gegriffen hat und von was für Leuten Messen nur der Bezahlung wegen gelesen werden. Wie viele handeln damit gegen das Verbot des kanonischen Rechts! 12Paulus warnt diejenigen ernstlich, die die Eucharistie unwürdig feiern, wenn er sagt: „Wer unwürdig von dem Brot isst oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn“ (1. Kor. 11,27). 13Aus diesem Grund haben wir unsere Priester vor solcher Sünde gewarnt, und so haben die [Kaufmessen und] Winkelmessen bei uns aufgehört, denn praktisch alle Winkelmessen werden um Gewinns willen gehalten. 14Die Bischöfe wussten durchaus von diesen Missständen. Wenn sie sie beizeiten in Ordnung gebracht hätten, dann gäbe es jetzt weniger Streit. 15Aber indem man viele Sünden verheimlicht hat, hat man zugelassen, dass sie sich in der Kirche einnisten. 16Jetzt, wo es zu spät ist, klagt man über den Schaden für die Kirche. Dabei hat der gegenwärtige Aufruhr seine Ursache allein in eben diesen Missständen, die so offenkundig wurden, dass man sie nicht länger ertragen konnte. 17Nun ist also großer Streit ausgebrochen über die Messe und das Altarsakrament. 18Vielleicht wird jetzt die Welt für die langzeitige Entheiligung des Messgottesdienstes bestraft. Sie ist jahrhundertelang gerade von denen geduldet worden, die zur Besserung etwas hätten tun können und müssen. 19In den Zehn Geboten steht ja geschrieben: Wer Gottes Namen missbraucht, wird nicht ungestraft bleiben. 20Seit Anbeginn der Welt scheint nichts Göttliches jemals so sehr mit Gelderwerb verknüpft worden zu sein wie die Messe. 21Hinzu kam folgende Ansicht, die die Zahl der Winkelmessen ins Unendliche getrieben hat: Christus habe mit seinem Leidensweg nur die Erbsünde gesühnt und dann die Messe dafür eingesetzt, dass sie Vergebung für die tagtäglichen Sünden erwirke, sowohl für Todsünden als auch für lässliche Sünden. 22So hat sich die Meinung verbreitet, die Messe sei ein Werk, dass durch seinen bloßen Vollzug die Sünden Lebender und Toter tilge. 23Dabei ist die Diskussion aufgekommen, ob eine einzige Messe für viele ebenso wirksam ist wie separate Messen für Einzelne. Diese Diskussion hat eben jene unendliche Fülle von Messen hervorgebracht. [Darüber vergaß man den Glauben an Christus und den rechten Gottesdienst.] 24Wir haben mahnend darauf hingewiesen, dass solche Ansichten nicht mit der Heiligen Schrift übereinstimmen und die Ehre von Christi Leidensweg schmälern. 25Denn [erstens]: Der Leidensweg Christi hat eben nicht nur hinsichtlich der Erbsünde Vergebung und Genugtuung gebracht, sondern auch hinsichtlich aller anderen Sünden. So steht im Hebräerbrief: 26„Wir sind geheiligt ein für allemal durch das Sündopfer des Leibes Jesu Christi“ (Hebr. 10,10). 27Ebenso: „Mit einem einzigen Opfer hat er für immer die vollendet, die geheiligt werden“ (Hebr. 10,14). [Es ist eine unerhörte Neuheit in der Lehre der Kirche, dass Christi Tod nur für die Erbsünde und nicht auch für die anderen Sünden Genugtuung gebracht haben soll. Deswegen hoffen wir auf Verständnis, wenn wir diesen Irrtum mit Recht verurteilen.] 28[Zweitens:] Die Schrift lehrt, dass wir vor Gott durch den Glauben an Christus gerecht werden. 29Wenn nun die Messe tatsächlich durch ihren bloßen Vollzug die Sünden Lebender und Toter tilgen könnte, dann geschähe die Rechtfertigung durch den Vollzug der Messe und nicht durch den Glauben. Das wäre nicht schriftgemäß. 30[Drittens:] Christus will, dass wir das Abendmahl zu seinem Gedächtnis halten. Die Messe ist also zu dem Zweck eingesetzt worden, dass der Glaube der Kommunikanten sich daran erinnert, was für gute Gaben er von Christus empfängt; so kann er sein verzagtes Gewissen aufrichten und erfährt Trost. 31Denn an Christus denken heißt an seine guten Gaben denken und erkennen, dass sie uns wirklich dargeboten werden. 32Dabei reicht es allerdings nicht, sich an die geschichtlichen Fakten zu erinnern; dass können auch die Juden und die Unfrommen. 33Die Messe muss vielmehr zu dem Zweck gehalten werden, dass Trostbedürftige das Sakrament empfangen. Ambrosius hat gesagt: „Weil ich stets sündige, muss ich auch stets Medizin nehmen.“ [So ist das heilige Sakrament nicht dazu eingesetzt, um für die Sünde ein Opfer zu bereiten – das Opfer ist ja schon früher gebracht worden – , sondern dazu, dass unser Glaube geweckt und die Gewissen getröstet werden, wenn sie durch das Sakrament vernehmen, dass ihnen Gnade und Vergebung der Sünden von Christus zugesagt ist. Deshalb erfordert dieses Sakrament Glaube und wird ohne Glauben vergeblich gebraucht.]

34Weil nun die Messe eine Sakramentsteilnahme ist, wird bei uns an Feiertagen und auch an anderen Tagen ein gemeinsamer Messgottesdienst gehalten. Wo auch immer Christen das Altarsakrament feiern möchten, wird es allen ausgeteilt, die es haben wollen. [Auf diese Weise bleibt bei uns die Messe in ihrem rechten Gebrauch, so wie man sie früher in der Kirche gehalten hat. Das kann man mit St. Paulus aus 1. Korinther 11 beweisen sowie auch aus vielen Väterschriften.] 35Das ist nichts Neues in der Kirche, denn die alten Väter vor Papst Gregor haben keine Winkelmessen erwähnt, obwohl sie sich oft über den Messgottesdienst geäußert haben. 36Chrysostomos hat gesagt: „Jeden Tag steht der Priester am Altar; die einen holt er zur Kommunion, die anderen weist er zurück.“ 37Und aus alten Kirchengesetzen geht hervor, dass ein Einzelner die Messe zelebrierte und die übrigen Priester sowie auch die Diakone den Leib des Herrn von ihm empfingen. 38In der Nizänischen Regel heißt es nämlich so: „Die Diakone sollen entsprechend der Ordnung nach den Priestern vom Bischof oder von einem Priester die heilige Kommunion empfangen.“ 39Und Paulus hat bezüglich der Kommunion angeordnet, dass die einen auf die anderen warten sollen, damit sie gemeinsam teilnehmen können (1. Kor. 11,33). 40Die Messe, die bei uns gehalten wird, folgt also dem Beispiel der Kirche, wie es sich aus der Schrift und von den Vätern her darstellt. Deshalb sind wir überzeugt, dass es an ihr nichts auszusetzen gibt – vor allem auch deswegen nicht, weil wir eine Liturgie gebrauchen, die zum großen Teil der üblichen gleicht. Lediglich die Anzahl der Messen ist verschieden; wegen der großen und offenbaren Missbräuche ist eine Reduzierung aber gewiss sinnvoll. 41Denn in früheren Zeiten fand selbst in zahlenmäßig großen Gemeinden nicht überall eine tägliche Messe statt, wie die Historia Tripartita im 9. Buch bezeugt: „In Alexandrien wiederum werden mittwochs und freitags Abschnitte aus der Heiligen Schrift gelesen, und die Prediger legen sie aus. All das geschieht ohne das sonst übliche ehrwürdige Messopfer.“

Artikel 25: Die Beichte

1Die Beichte ist in unseren Gemeinden nicht abgeschafft worden: Wir pflegen den Leib des Herrn nur denen auszuteilen, die vorher geprüft wurden und die Absolution empfangen haben. 2Das Kirchenvolk wird dabei sehr sorgfältig über den Glauben an die Sündenvergebung unterwiesen; in früheren Zeiten herrschte darüber großes Schweigen. 3Die Leute lernen, die Absolution hoch zu achten, weil es sich dabei um Gottes Stimme handelt und weil die Vergebung der Sünden aufgrund von Gottes Gebot zugesprochen wird. 4Wir stellen die Herrlichkeit des Schlüsselamts heraus und weisen darauf hin, wie sehr es erschrockene Gewissen trösten kann. Auch weisen wir darauf hin: Gott erwartet zu glauben, dass die Absolution, jener Zuspruch der Sündenvergebung, seine eigene Stimme ist, die vom Himmel herabschallt; solcher Glaube empfängt wirklich die Vergebung der Sünden. 5Früher dagegen betonte man die [Aufzählung von Sünden,] Sühneleistungen, [Ablass, Wallfahrten und dergleichen,] während der Glaube, das Verdienst Christi und die Glaubensgerechtigkeit überhaupt nicht erwähnt wurden. Daher kann man unseren Gemeinden in dieser Sache nicht das Geringste vorwerfen. 6Auch unsere Gegner müssen zugeben, dass wir die Lehre von der Buße sehr sorgfältig behandeln und bekanntmachen.

7Nun lehren wir aber auch von der Beichte, dass es nicht nötig ist, alle Übeltaten aufzuzählen. Die Gewissen dürfen nicht mit der Sorge belastet werden, ob man denn alle Übeltaten aufgezählt hat. Es ist nämlich unmöglich, alle Übeltaten vorzubringen, wie das Psalmwort bezeugt: „Wer kann merken, wie oft er fehlet?“ (Psalm 19,13). 8Und bei Jeremia heißt es: „Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen?“ (Jer. 17,9) 9Wenn aber nur Sünden, die ausgesprochen worden sind, vergeben würden, könnten die Gewissen keine Ruhe finden, denn sie erkennen die Mehrzahl der Sünden nicht und können sich nicht an sie erinnern. 10Auch die Kirchenväter bezeugen in ihren Schriften, dass solch ein Aufzählen nicht nötig ist. In den „Dekreten“ wird Chrysostomus folgendermaßen zitiert: 11„Ich sage dir nicht, dass du dich öffentlich bloßstellen oder vor anderen bezichtigen sollst. Ich möchte nur, dass du dem Prophetenwort folgst: ‚Offenbare dem Herrn deine Wege‘ (Psalm 37,5). Bekenne deine Sünden also vor Gott, dem wahren Richter, im Gebet. Tu deine Missetaten nicht mit der Zunge, sondern mit den Gedanken deines Gewissens kund.“ [Hier sieht man klar, dass Chrysostomus niemanden zwingt, seine Sünden beim Namen zu nennen.] 12Und eine „Bemerkung zur Buße“ in Distinctio 5, Kapitel „Consideret“, räumt ein, dass das Beichten durch menschliches Recht entstanden ist. 13Wir bewahren also die Beichte in Wahrheit wegen des großen Segens der Sündenvergebung sowie deswegen, weil sie auch anderweitig den Gewissen nützt.

Artikel 26: Speisevorschriften (und ähnliche Traditionen)

1In der Kirche herrschte allgemein die Meinung – nicht nur bei den einfachen Leuten, sondern auch im Lehramt –, dass Speisevorschriften und ähnliche menschliche Traditionen nützliche Werke sind, um Gnade und Sühnung von Sünden zu erwerben. 2Alle Welt dachte so. Das zeigt sich daran, dass täglich neue heilige Handlungen, Ordnungen, Feiertage und Fastenzeiten eingerichtet wurden. Die Kirchenlehrer forderten diese Werke als heilsnotwendigen Gottesdienst. Im Falle der Weigerung schüchterten sie die Gewissen heftig ein. 3Diese Einstellung zu menschlichen Traditionen hat in der Kirche viele Nachteile mit sich gebracht.

4Erstens ist dadurch die Lehre von der Gnade und von der Glaubensgerechtigkeit verdunkelt worden; dabei ist sie doch die Hauptsache vom Evangelium. Sie muss in der Kirche den höchsten Stellenwert haben, damit man das Verdienst Christi gut erkennt und der Glaube an die Sündenvergebung durch Christus mehr gewürdigt wird als alle Werke und anderen Formen der Gottesverehrung. 5Darum hat auch Paulus diesen Punkt sehr betont und das Gesetz [des Mose] sowie die menschlichen Traditionen beiseite getan. Damit hat er gezeigt, dass Gerechtigkeit im christlichen Sinn etwas anderes ist als solcherart Werke: nämlich der Glaube, dass wir durch Christus in Gnaden angenommen werden. 6Diese Lehre des Paulus ist fast völlig unterdrückt worden, denn die menschlichen Traditionen haben zu der Meinung geführt, dass man mit [festgesetzten Fastenzeiten,] Speisevorschriften[, Kleidung] und ähnlichen Formen der Gottesverehrung Gnade und Gerechtigkeit verdienen muss. 7Bei der Buße wurde nichts vom Glauben gesagt; man forderte nur Sühneleistungen. Es herrschte die Meinung, dass daraus die ganze Buße besteht.

8Zweitens haben diese Traditionen Gottes Gebote verdunkelt, weil sie weit wichtiger genommen wurden. Man glaubte, das ganze Christsein bestünde aus der Einhaltung bestimmter Feiertage, heiliger Handlungen, Fastenzeiten und Bekleidung. 9Man gab solchem Lebenswandel die ehrenwertesten Bezeichnungen wie „geistliches Leben“ und „vollkommenes Leben“. 10Aber Gottes Gebote für die normalen Aufgabenbereiche wurden nicht gerühmt: dass ein Familienvater [arbeitet, um Frau und Kind zu ernähren, sowie] seine Kinder [zur Gottesfurcht] erzieht; dass eine Mutter Kinder zur Welt bringt; dass ein Staatsoberhaupt sein Land regiert… Von diesen Werken meinte man, dass sie weltlich und unvollkommen seien und weitaus weniger wertvoll als jene „großartigen“ Richtlinien. 11Dieser Irrtum hat fromme Gewissen sehr geplagt. Sie waren traurig darüber, dass sie in einer „unvollkommenen“ Lebensweise gefangen waren: in der Ehe, in Regierungen oder in anderen weltlichen Ämtern. Sie bewunderten die Mönche sowie ähnlich Lebende und nahmen fälschlich an, dass deren Richtlinien Gott mehr gefallen. [Aus diesem Grund sind maßlos und endlos immer mehr Traditionen entstanden.]

12Drittens haben die menschlichen Traditionen die Gewissen sehr gefährdet. Es war nämlich unmöglich, sämtliche Traditionen einzuhalten. Trotzdem glaubten die Leute, dass es sich um notwendige Werke der Gottesverehrung handelt. 13Gerson schreibt, dass viele verzweifelten und manche sich sogar das Leben nahmen, weil sie merkten, dass sie den Traditionen nicht Genüge leisten konnten. In dieser Not hörten sie keinerlei Trost über die Glaubensgerechtigkeit und über die Gnade. 14Wir haben durchaus im Blick, dass die sogenannten Summisten und andere Theologen Traditionen zusammengefasst und nach praktischen Hilfen gesucht haben, um es den Gewissen leichter zu machen. Aber das bringt nicht genug Entlastung, und manchmal ergeben sich für die Gewissen daraus sogar weitere Stolperfallen. 15Mit solchem Zusammenfassen von Traditionen waren die Theologen bei ihren Lehrveranstaltungen und Predigten so beschäftigt, dass keine Zeit mehr blieb, die Bibel zur Hand zu nehmen und die viel nützlichere Lehre vom Glauben zu erforschen sowie auch vom Kreuz, von der Hoffnung, von der Würde weltlicher Angelegenheiten und vom Trost schlimm angefochtener Gewissen. 16Darum haben Gerson und andere Theologen sehr geklagt, dass solches Gezänk um Traditionen sie nur behindert und sie sich desto weniger um eine bessere Art Lehre kümmern können[, sodass fromme Leute nicht zur rechten Christus- Erkenntnis kommen]. 17Augustinus verbietet es sogar, die Gewissen mit solcherart Richtlinien zu belasten. Er weist Ianuarius klug darauf hin, dass diese Richtlinien, wie er doch wisse, „indifferent“ seien – genauso hat Augustinus es formuliert.

18Aus diesen Gründen soll man nicht meinen, wir wären leichtfertig auf dieses Thema gekommen, oder weil wir die Bischöfe hassen, wie manche argwöhnen. 19Vielmehr ist es dringend nötig geworden, die Gemeinden über diese Irrtümer aufzuklären, die von falsch verstandenen Traditionen herrühren. 20Das Evangelium drängt uns nämlich, die Lehre von der Gnade und von der Glaubensgerechtigkeit in der Kirche voranzutreiben. Diese Lehre können die Leute aber nicht begreifen, wenn sie meinen, dass sie durch selbstgewählte Richtlinien Gnade verdienen. 21So begannen wir also zu lehren, dass wir durch Beachtung menschlicher Traditionen keine Gnade verdienen und für unsere Sünden keine Genugtuung leisten können. Daher soll niemand meinen, solcherart Richtlinien seien notwendige Formen der Gottesverehrung.

22Wir nennen dazu ein paar Schriftzeugnisse. In Matthäus 15 entschuldigt Christus die Apostel, die eine übliche Tradition nicht befolgt hatten. Es handelt sich um eine Tradition, die man durchaus als Mittelding einschätzen kann – also etwas, das man tun oder auch lassen darf –; sie hängt mit den gesetzlichen Waschungen zusammen. Christus sagt: „Vergeblich dienen sie mir, weil sie lehren solche Lehren, die nichts als Menschengebote sind“ (Matth. 15,9). 23Also verlangt Christus keinen sinnlosen Kult. Und wenig später ergänzt er: „Was zum Mund hineingeht, das macht den Menschen nicht unrein“ (Matth. 15,11). 24In diesem Sinne heißt es in Römer 14: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken“ (Römer 14,17). 25Und in Kolosser 2: „So lasst euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise oder Trank oder wegen eines bestimmten Feiertages oder Sabbats“ (Kol. 2,16). 26In Apostelgeschichte 15 sagt Petrus: 27„Warum versucht ihr denn nun Gott dadurch, dass ihr ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das weder unsre Väter noch wir haben tragen können? Vielmehr glauben wir, durch die Gnade des Herrn Jesus selig zu werden, ebenso wie auch sie.“ (Apostelgesch. 15,10-11) 28Hier verbietet Petrus, die Gewissen mit vielen Riten zu belasten, gleich ob sie aus dem Mose-Gesetz stammen oder nicht. 29Und 1. Timotheus 4 nennt Speiseverbote „teuflische Lehren“ (1. Tim. 4,1). Es widerspricht nämlich dem Evangelium, wenn man derartige Werke einführt oder tut mit der Absicht, durch sie Gnade zu verdienen, oder mit der Ansicht, dass es keine christliche Gerechtigkeit ohne solche Formen der Gottesverehrung geben könne.

30Hier wenden unsere Gegner ein, wir verböten die Disziplin und die Abtötung des Fleisches, wie es Jovinian tat. In Wahrheit kann man unseren Schriften etwas anderes entnehmen. 31Wir haben nämlich stets über das Kreuz der Nachfolge gelehrt, dass Christen Anfechtungen aushalten müssen. 32Das ist eine wahre und ernsthafte Abtötung, keine simulierte: durch verschiedene Anfechtungen geschult und mit Christus gekreuzigt werden. 33Darüber hinaus lehren wir, dass sich jeder Christ durch leibliche Disziplin bzw. durch leibliche Übungen und Anstrengungen so schulen und zügeln muss, dass weder Sattheit noch Faulheit ihn zum Sündigen reizen. Das geschieht aber nicht mit der Absicht, durch diese Übungen Vergebung der Sünden zu verdienen oder für Sünden Genugtuung zu leisten. 34Diese leibliche Disziplin ist immer wichtig, nicht nur an wenigen bestimmten Tagen. 35Christus ordnet an: „Hütet euch, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen“ (Lukas 21,34). 36Ebenso: „Diese Art böser Geister kann durch nichts ausfahren als durch Beten und Fasten“ (Markus 9,29). 37Und Paulus sagt: „Ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn“ (1. Kor. 9,27). 38An dieser Stelle macht Paulus deutlich: Er bezwingt seinen Leib nicht deswegen, um sich durch diese Disziplin die Vergebung der Sünden zu verdienen, sondern damit er einen verlässlichen und fähigen Leib bekommt für sein geistliches Leben und für die Erfüllung seiner beruflichen Pflicht. 39Daher verurteilen wir nicht das Fasten an sich, sondern nur die Traditionen, die bestimmte Fastentage und bestimmte Speisen vorschreiben. Die stellen allerdings eine Gefahr für das Gewissen dar, weil sie den Eindruck erwecken, dass solcherart Werke notwendige Formen der Gottesverehrung sind. 40Dennoch werden die meisten Traditionen bei uns befolgt, darunter die Ordnung der Lesungen im Messgottesdienst, Feiertage und dergleichen. Sie tragen dazu bei, dass es in der Kirche geordnet zugeht. 41Dabei werden die Leute jedoch darauf hingewiesen, dass solche gottesdienstlichen Formen keine Rechtfertigung vor Gott bewirken; auch wird niemand schuldig, der sie weglässt, sofern er damit kein Glaubenshindernis aufrichtet.

42Solche Freiheit in Bezug auf menschliche Riten war den Vätern keineswegs unbekannt: 43In der Ostkirche wurde Ostern zu einem anderen Termin gefeiert als in Rom. Als Vertreter der römischen Kirche deswegen die Ostkirche eines Schismas bezichtigen wollten, haben andere sie mahnend darauf hingewiesen, dass solche Sitten nicht überall gleich sein müssen. 44Auch Irenäus sagt: „Die Nicht-Übereinstimmung bei den Fastenzeiten hebt die Übereinstimmung im Glauben nicht auf.“ Und Papst Gregor zeigt in Distinctio 12 an, welche Art von Verschiedenheit die Einheit der Kirche nicht beschädigt. 45Im neunten Buch der Historia Tripartita sind viele Beispiele von verschiedenen Riten zusammengetragen. Dort wird Folgendes zitiert: „Die Apostel haben nicht danach getrachtet, eine heilige Ordnung von Feiertagen festzulegen, sondern danach, einen guten und frommen Lebenswandel zu predigen.“

Artikel 27: Klostergelübde

1Unsere Lehre über Klostergelübde kann man nur dann richtig verstehen, wenn man beachtet, in welchem Zustand sich die Klöster bisher befunden haben. Man erinnere sich, wie viele Dinge in den Klöstern Tag für Tag gegen das kanonische Recht passiert sind. 2Zur Zeit des Augustinus waren die Klöster noch freie Dienstgemeinschaften gewesen. Danach ging es überall bergab mit der Disziplin, und man führte Gelübde ein, um die Disziplin mit einer Art imaginärem Gefängnis wiederherzustellen. 3Nach und nach wurden über die Gelübde hinaus zahlreiche weitere Regeln eingeführt. 4Diese Fesseln wurden vielen gegen das kanonische Recht bereits vor der Volljährigkeit zugemutet. 5Und viele gerieten irrtümlich in diese Lebensform: Wenn sie auch alt genug waren, so waren sie doch nicht in der Lage, ihre Fähigkeiten richtig einzuschätzen. 6Man zwang die so Verstrickten dazubleiben, auch wenn sie mithilfe des kanonischen Rechts hätten freikommen können. 7Dies geschah häufiger in Frauenklöstern als in Mönchsklöstern, während man doch eigentlich mehr Rücksicht auf das schwächere Geschlecht hätte nehmen sollen. 8Solche Strenge hat schon in früheren Zeiten vielen guten Leuten missfallen. Sie erlebten, dass junge Frauen und Männer nur aus Gründen des Unterhalts ins Kloster abgeschoben wurden. Und sie sahen, was für unglückselige Folgen, Ärgernisse und Gewissensfallen so ein Beschluss nach sich ziehen konnte. 9Sie litten darunter, dass die Autorität des kanonischen Rechts in einer so ernsten Angelegenheit gänzlich vernachlässigt und verachtet wurde. 10Zu diesen Missständen gesellte sich eine derartige Überbewertung der Gelübde, dass sie bestimmt auch damals den Mönchen selbst missfiel, wenn sie nur ein bisschen vernünftig waren. 11Man sagte nämlich, dass die Gelübde denselben Rang haben wie die Taufe: Man lehrte, dass Menschen mit dieser Lebensweise Vergebung der Sünden und Rechtfertigung vor Gott verdienen. 12Man fügte sogar hinzu, das klösterliche Leben erwirke Verdienste, die über die Gerechtigkeit vor Gott hinausgingen, weil da nicht nur die Gebote befolgt würden, sondern auch die Evangelischen Räte: Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam gegenüber den geistlichen Vorgesetzten. 13So redete man den Leuten ein, dass das Mönchtum die Taufe bei weitem übertreffe und verdienstvoller sei als Regieren oder das Hirtenamt oder ähnliche Berufe, die ohne selbstgemachte Werke der Gottesverehrung einfach nach Gottes Geboten dienen. 14Nichts davon kann abgestritten werden, denn so steht es in ihren Schriften.

15[Obendrein lernen die Kloster-Insassen wenig von Christus.] Wie konnte es dazu kommen in den Klöstern? Ursprünglich waren sie Lehrstätten der Theologie und anderer für die Kirche nützlicher Wissenschaften; es gingen Pastoren und Bischöfen aus ihnen hervor. Jetzt ist es anders; man braucht darüber kaum ein Wort zu verlieren, so bekannt sind die Zustände. 16Ursprünglich waren die Menschen in den Klöstern also zum Lernen [aus der Schrift] beieinander, nun aber stellt man es so dar, als seien die Klöster für eine Lebensweise eingerichtet worden, mit der man Gnade und Gerechtigkeit erwerben könne. Man verkündet sogar, es handele sich beim klösterlichen Leben um einen Stand der Vollkommenheit, und gibt ihm vor allen anderen von Gott geordneten Lebensweisen bei weitem den Vorzug. 17Wir erinnern hier keineswegs mit böswilliger Übertreibung an diese Sachverhalte, sondern damit man unsere Lehre darüber besser verstehen kann.

18Bezüglich der Eheschließungen von Mönchen und Nonnen lehren wir erstens so: Alle, die zur Enthaltsamkeit nicht fähig sind, dürfen heiraten, denn Gelübde können Gottes Ordnung und Gebot nicht außer Kraft setzen. 19Dies ist Gottes Gebot: „Um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben [und jede Frau ihren eigenen Mann]“ (1. Kor. 7,2). 20Aber nicht nur das Gebot, sondern auch Gottes Schöpfungsordnung zwingt diejenigen zur Ehe, die nicht durch besonderes göttliches Handeln Ausnahmen darstellen, gemäß dem Wort: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei[; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei]“ (1. Mose 2,18). 21Es kann keine Sünde sein, solchem Gebot und solcher göttlichen Ordnung Folge zu leisten. 22Was kann man dagegen einwenden? Da mag jemand die Verbindlichkeit eines Gelübdes noch so hoch einschätzen: Wie gern er das auch wollte, kann er doch nicht bewirken, dass ein Gelübde Gottes Gebot aufhebt. 23Das kanonische Recht lehrt, dass bei jedem Gelübde ein übergeordneter Vorgesetzter Ausnahmen erlauben kann – wieviel weniger können da die Gelübde gegen Gottes Gebot gültig sein! 24Wenn die Verbindlichkeit von Gelübden aus keinerlei Gründen außer Kraft gesetzt werden könnte, dann dürften auch die Päpste keine Ausnahmen genehmigen. Was nach göttlichem Recht verbindlich gilt, darf kein Mensch aufheben. 25Aber die Päpste haben klug geurteilt, dass die Verbindlichkeit von Gelübden mit Augenmaß behandelt werden muss. Deswegen liest man oft davon, dass Dispens erteilt wurde. 26So ist die Geschichte von König Aragon bekannt, der aus dem Kloster zurückgeholt wurde. Auch an aktuellen Beispielen fehlt es nicht. [Wenn man schon zur Erhaltung zeitlicher Dinge Dispens erteilt hat, dann sollte erst recht um seelischer Bedürfnisse willen dispensiert werden können.]

27Zweitens: Warum schätzen denn unsere Gegner die verpflichtende Verbindlichkeit von Gelübden so hoch ein, während sie gleichzeitig verschweigen, wie ein Gelübde beschaffen sein muss? Es muss nämlich einhaltbar sein; außerdem soll es freiwillig und aus eigenem Antrieb nach Beratung gegeben werden. 28Wie wenige Menschen zu dauerhafter Enthaltsamkeit fähig sind, ist kein Geheimnis. Und wie groß ist wohl der Anteil derer, die ihre Gelübde aus eigenem Antrieb nach Beratung abgelegt haben? 29Da werden Mädchen und junge Männer, die noch gar nicht urteilsfähig sind, zum Geloben gedrängt, ja manchmal sogar gezwungen. 30Deswegen ist es unangemessen, die Verbindlichkeit so streng zu verteidigen. Es müssen doch alle zugeben, dass es dem Sinn eines Gelübdes widerspricht, wenn es unfreiwillig und ohne Beratung geleistet wird. 31Viele Kirchengesetze gebieten die Aufhebung von Gelübden, die vor dem 15. Lebensjahr gegeben worden sind. Es ist nämlich nicht zu erkennen, dass jemand schon vorher umfassend beurteilen kann, ob er zu so einer lebenslangen Bindung fähig ist. 32Ein anderes Kirchengesetz schätzt die menschliche Unmündigkeit noch höher ein und fügt ein paar Jahre hinzu: Es verbietet Klostergelübde vor dem 18. Lebensjahr. Aber welcher dieser beiden Richtlinien folgen wir? 33In jedem Fall könnten die meisten Ordensleute mit gutem Grund die Klöster verlassen, weil sie ihre Gelübde abgelegt haben, als sie jünger waren.

34Und schließlich: Auch wenn man die Verletzung eines Gelübdes kritisieren kann, so muss man daraus offensichtlich nicht gleich folgern, dass die (danach geschlossenen) Ehen der betreffenden Personen aufzulösen sind. 35In seiner 27. Causa (Quaestio I, Kapitel „Nuptiarum“) bestreitet Augustinus, dass sie aufgelöst werden müssen. Aufgrund seiner Autorität wiegt diese Meinung schwer, auch wenn andere später anders geurteilt haben. 36Gottes Gebot über die Ehe entbindet also offensichtlich die meisten Mönche und Nonnen von ihren Gelübden. Darüber hinaus führen wir aber noch einen weiteren Grund dafür an, dass Klostergelübde ungültig sind: Jeder Akt der Gottesverehrung, den man ohne Gottes Gebot eingeführt hat und mit dem man Rechtfertigung und Gnade erlangen will, ist gottlos. Hier trifft Christi Wort zu: „Vergeblich dienen sie mir mit Menschengeboten“ (Matth. 15,9). 37Und Paulus lehrt überall, dass wir nicht mit unserer Einhaltung erdachter Vorschriften und mit religiösen Handlungen nach der Gerechtigkeit vor Gott trachten sollen; vielmehr wird sie denen zuteil, die glauben, dass man wegen Christus aus Gnade von Gott angenommen wird. 38Nun haben aber Mönche ganz gewiss gelehrt, dass religiöse Übungen Sünden sühnen sowie Gnade und Rechtfertigung verdienen. Was ist das anderes als Christus die Ehre nehmen sowie die Glaubensgerechtigkeit verdunkeln und verleugnen? 39Daraus folgt: Die üblichen Klostergelübde sind gottlose religiöse Handlungen und daher ungültig. 40Ein gottloses und gegen Gottes Gebote gegebenes Gelübde kann ja keine Gültigkeit haben. So heißt es auch im kanonischen Recht, dass ein Gelübde nicht zu etwas Unrechtem verpflichten darf. 41Paulus sagt: „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen“ (Gal. 5,4). 42Folglich verlieren die, die durch Gelübde gerechtfertigt werden wollen, ebenfalls Christus und fallen aus der Gnade. 43Denn diejenigen, die den Gelübden die Fähigkeit zur Rechtfertigung zuschreiben, schreiben ihren eigenen Werken etwas zu, was nur Christus und seiner Herrlichkeit zusteht. 44Man kann es wirklich nicht abstreiten: Die Mönche haben tatsächlich gelehrt, dass sie durch die Gelübde und ihre Einhaltung von Vorschriften gerechtfertigt werden und Vergebung der Sünden verdienen. Sie haben sogar etwas noch Absurderes hinzugefügt und sich gerühmt, dass andere am Verdienst ihrer Werke teilhaben können. 45Wenn jemand böswillig auf diesem Thema herumreiten wollte, wieviel könnte er da zusammentragen! Inzwischen schämen sich die Mönche schon selbst dafür. 46Obendrein machen sie den Leuten weis, der Stand der christlichen Vollkommenheit bestünde aus religiösen Übungen. 47Bedeutet das etwa nicht, die Rechtfertigung von Werken abhängig zu machen? 48Das ist kein kleines Ärgernis in der Kirche: dem Kirchenvolk eine bestimmte religiöse Handlung vorzulegen, die ohne göttliche Weisung von Menschen erdacht wurde, und dann zu lehren, dass so eine Handlung die Menschen gerecht macht. Auf diese Weise wird die Glaubensgerechtigkeit verdunkelt, von der in der Kirche doch am meisten geredet werden sollte. Das kommt dabei heraus, wenn jene wunderlichen „Engelstaten“, nämlich geheuchelte Armut, Demut und Enthaltsamkeit, den Leuten groß vor Augen geführt werden.

49Und dann noch dies: Wenn die Leute hören, dass sich nur die Mönche im Stand der Vollkommenheit befinden, werden Gottes Weisungen und die rechte Gottesverehrung verdunkelt. Christliche Vollkommenheit bedeutet nämlich etwas anderes: Gott ernsthaft fürchten; dabei großes Vertrauen haben; sich darauf verlassen, dass Gott durch Christus versöhnt ist; von Gott in allen Dingen und Lebensumständen Hilfe erbitten sowie fest mit dieser Hilfe rechnen; dabei im öffentlichen Leben fleißig gute Werke tun und so dienen, wie es dem jeweiligen Beruf entspricht. 50Aus eben solchem Verhalten besteht die christliche Vollkommenheit und rechte Gottesverehrung, nicht aus Enthaltsamkeit, Bettelei[, schwarzen oder grauen Kappen] und schäbiger Kleidung. 51Aber gerade aufgrund dieser falschen Lobeshymnen auf das Mönchsleben entwickelt das Kirchenvolk viele schädliche Ansichten. 52Die Leute hören, dass Enthaltsamkeit maßlos gelobt wird, und haben deswegen beim Eheleben ein schlechtes Gewissen. 53Sie hören, dass nur Bettelmönche vollkommen sind, und haben deswegen beim Besitz von Eigentum und beim Handel ein schlechtes Gewissen. 54Auch hört man, dass es nur ein „Evangelischer Rat“ sei, sich nicht zu rächen, und deshalb scheuen sich einige nicht, jemandem im Privatleben etwas heimzuzahlen – hören sie doch, dass das Rache-Verbot eben nur ein Ratschlag ist und kein Gebot. 55Auf der anderen Seite irrt man sich noch viel mehr, wenn man meint, dass alle Regierungen und öffentlichen Ämter der Christen unwürdig und nicht mit dem „Evangelischen Rat“ vereinbar seien. [Etliche meinen, Rache gezieme Christen in keinem Fall, auch nicht der Regierung.] 56Man liest auch von Menschen, die ihre Ehen und öffentliche Ämter verließen und sich in Klöster zurückgezogen haben. 57Sie nannten das Weltflucht und Trachten nach geheiligtem Leben. Dabei erkannten sie nicht, dass man Gott nach den von ihm selbst gegebenen Geboten dienen muss, nicht nach von Menschen erdachten Geboten. 58Gut und vollkommen ist ein Leben nur dann, wenn es mit Gottes Gebot in Einklang steht. [Dagegen ist eine Lebensweise, die nicht Gottes Gebot auf ihrer Seite hat, schädlich.] 59Entsprechend müssen die Leute unterwiesen werden. 60Bereits in früherer Zeit tadelte Gerson den Irrtum der Mönche bezüglich ihrer Vollkommenheit. Er bezeugt, dass man erst in seiner Zeit begann, das Klosterleben als einen Stand der Vollkommenheit zu bezeichnen. 61So sind die Klostergelübde mit vielen gottlosen Ansichten behaftet: dass sie rechtfertigen; dass sie christliche Vollkommenheit bedeuten; dass die Mönche besondere „Räte“ und Gebote halten sollen; dass sie einen Überschuss an guten Werken bewirken. 62Weil das alles falsch und nutzlos ist, gelten Klostergelübde nicht.

Artikel 28: Kirchliche Macht

1Schon früher gab es großen Streit um die Macht der Bischöfe. Dabei haben einige die Macht des kirchlichen Amtes und die Staatsgewalt leider miteinander vermischt. 2Diese Verwirrung hat schlimme Kriege und Aufstände nach sich gezogen. So haben Päpste im Vertrauen auf ihre Schlüsselgewalt nicht bloß neue Formen der Gottesverehrung eingeführt und die Gewissen damit beschwert, dass sie sich in bestimmten Fällen die Sündenvergebung persönlich vorbehielten sowie Menschen mit Gewaltmaßnahmen aus der Kirche ausschlossen; nein, darüber hinaus maßten sie sich an, weltliche Regierungsmacht zu verleihen und Machthabern ihre Herrschaft dann auch wieder zu entziehen. 3Fromme und gelehrte Leute haben diese Fehlentwicklungen in der Kirche schon lange vor uns kritisiert. 4So drängte es uns, den Menschen ins Gewissen zu reden und den Unterschied zwischen der Macht des kirchlichen Amtes und der Staatsgewalt aufzuzeigen. Wir haben gelehrt, dass beides wegen Gottes Gebot geehrt und als außerordentlich große göttliche Wohltat auf Erden angesehen werden muss.

5Dies ist unsere Überzeugung: Die Schlüsselgewalt bzw. die Macht der Bischöfe ist gemäß dem Evangelium die Vollmacht bzw. der Auftrag Gottes, das Evangelium zu predigen, Sünden zu vergeben und zu behalten sowie die Sakramente zu verwalten. 6Christus hat die Apostel nämlich mit folgendem Auftrag ausgesandt: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch… Nehmt hin den Heiligen Geist: Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ (Joh. 20,21- 23) 7Und bei Markus heißt es im 16. Kapitel: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur…“ (Markus 16,15). 8Diese Macht wird nur durch Lehren bzw. Predigen des Evangeliums und durch das Austeilen der Sakramente ausgeübt. Das geschieht je nach Berufung entweder für eine Gemeinschaft oder für Einzelne. Es geht ja nicht um materielle, sondern um ewige Güter, nämlich um ewige Gerechtigkeit, Heiligen Geist und ewiges Leben. 9Die können durch nichts anderes als durch den Dienst von Wort und Sakrament empfangen werden, wie Paulus sagt: „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben“ (Römer 1,16). Und im 119. Psalm steht: „Dein Wort erquickt mich“ (Psalm 119,50). 10Weil also nun die Macht des kirchlichen Amtes an ewigen Gütern Anteil gibt und dies allein durch den Dienst der Wortverkündigung geschieht, kommt sie keinem politischen Amt in die Quere – ebensowenig, wie zum Beispiel die Sangeskunst einem politischen Amt in die Quere kommt. 11Ein politisches Amt befasst sich nämlich mit anderen Dingen als mit dem Evangelium: Eine Regierung schützt ja nicht den menschlichen Geist, sondern den menschlichen Leib sowie materielle Güter gegen offenbares Unrecht; auch übt sie mit dem Schwert und mit leiblichen Strafen Gewalt über die Menschen aus. Das Evangelium dagegen schützt den menschlichen Geist gegen gottlose Meinungen, den Teufel und den ewigen Tod.

12Aus diesen Gründen dürfen kirchliche und weltliche Macht nicht miteinander vermischt werden. Das kirchliche Amt hat die Aufgabe, das Evangelium zu verkündigen und die Sakramente zu verwalten. 13Es darf daher nicht in ein fremdes Amt greifen, Regierungsgewalt übertragen, Staatsgesetze außer Kraft setzen, von rechtmäßiger Gehorsamspflicht entbinden, Urteile über zivilrechtliche Ordnungen und Verträge behindern oder Regierungen Gesetze zur Staatsform vorschreiben. 14Christus hat ja gesagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,36). 15Und ebenfalls: „Wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?“ (Lukas 12,14). 16Paulus sagt in Philipper 3: „Unser Bürgerrecht ist im Himmel“ (Phil. 3,20). 17Und in 2. Korinther 10: „Die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Gedanken zu zerstören…“ (2. Kor. 10,4). 18Auf diese Weise unterscheiden wir beide Machtbereiche. Gleichzeitig gebieten wir, beide zu ehren und anzuerkennen, dass sie beide segensreiche Gaben Gottes sind. 19Wenn Bischöfe Staatsgewalt ausüben, dann tun sie das nicht in ihrer Eigenschaft als Bischöfe vom Auftrag des Evangeliums her, sondern aus menschlichem Recht, das ihnen Könige und Kaiser zur weltlichen Verwaltung ihrer Güter verliehen haben. Das ist dann eine ganz andere Funktion als der Dienst am Evangelium.

20Wenn man nun die Rechtsprechung der Bischöfe näher betrachtet, muss man ihr Regierungsamt von der kirchlichen Rechtsprechung unterscheiden. 21Demnach kommt den Bischöfen in ihrer Eigenschaft als Bischöfe die Rechtsprechung nach dem Evangelium bzw. nach sogenanntem göttlichen Recht zu – das heißt, ihnen ist der Dienst des Wortes und der Sakramente anvertraut: Sie sollen Sünden vergeben, unevangelische und gottlose Lehre abwehren sowie offensichtlich Gottlose aus der Gemeinschaft der Kirche ausschließen – aber ohne menschliche Gewaltmaßnahmen, nur durch das Wort. 22Hierin müssen die Gemeinden ihnen unbedingt und kraft göttlichen Rechts gehorchen, wie es heißt: „Wer euch hört, der hört mich“ (Lukas 10,16). 23Aber wenn die Bischöfe etwas lehren oder bestimmen, was dem Evangelium zuwider läuft, dann haben die Gemeinden die göttliche Pflicht, den Gehorsam zu verweigern. In Matthäus 7 steht: „Seht euch vor vor den falschen Propheten“ (Matth. 7,15). 24Und in Galater 1 steht: „Wenn ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würde, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht“ (Gal. 1,8). 25Und in 2. Korinther 13 steht: „Wir vermögen nichts wider die Wahrheit, sondern nur etwas für die Wahrheit“ (2. Kor. 13,8). 26Und ebenfalls: „Der Herr hat uns Vollmacht gegeben zu erbauen, nicht zu zerstören“ (2. Kor. 13,10). 27So schreibt es auch das kanonische Recht vor (2. Causa, Quaestio VII, die Kapitel „Sacerdotes“ und „Oves“). 28Und Augustinus sagt in seinem Brief gegen Petilianus: „Auch Bischöfen der allgemeinen Kirche darf man nicht zustimmen, wann immer sie sich irren oder Meinungen vertreten, die den kanonischen göttlichen Schriften widersprechen.“ 29Wenn die Bischöfe noch andere Macht oder Rechtsprechung für bestimmte Fälle innehaben, zum Beispiel in Ehe- oder Steuerangelegenheiten, dann haben sie die nur kraft menschlichen Rechts. Falls sie für diese Ämter ausfallen, müssen Fürsten einspringen – ob sie wollen oder nicht – , und den Untertanen Recht sprechen, damit der öffentliche Friede erhalten bleibt.

30Weiterhin wird darüber diskutiert, ob Bischöfe bzw. Hirten in der Kirche heilige Handlungen und Gesetze wie Speisevorschriften, Feiertagsregelungen, Amtshierarchien und Ordensregeln festlegen dürfen. 31Diejenigen, die den Bischöfen dieses Recht einräumen, argumentieren mit folgendem Schriftzeugnis: „Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten.“ (Joh. 16,12-13) 32Auch führen sie das Beispiel der Apostel an, die geboten haben, sich von Blut und Ersticktem zu enthalten (vgl. Apostelgesch. 15,20.29). 33Und man führt den Sabbat an, der scheinbar gegen den Wortlaut der Zehn Gebote durch den Sonntag ersetzt wurde. Kein Beispiel wird häufiger in die Debatte geworfen als die Veränderung beim Sabbat: Man behauptet, die Kirche müsse große Macht haben, weil sie doch sogar eines der Zehn Gebote aufheben konnte.

34Wir aber lehren in dieser Frage so: Die Bischöfe haben keinerlei Macht, etwas zu bestimmen, was dem Evangelium zuwider läuft. Das haben wir bereits oben dargelegt, und das kanonische Recht bestätigt uns darin (Distinctio 9, gesamter Abschnitt). 35Ferner widerspricht es der Heiligen Schrift, Traditionen zu begründen mit der Absicht, dass wir durch sie Sünden vergeben bekommen oder Rechtfertigung verdienen. 36Wer meint, auf diese Weise gerechtfertigt zu werden, der beschädigt die Ehre von Christi Verdienst. 37Es steht fest: Wegen solcher Überzeugung hat die Zahl der Traditionen uferlos zugenommen, während die Lehre vom Glauben und von der Glaubensgerechtigkeit unterdrückt wurde. So schuf man nach und nach zahlreiche Feiertage, setzte Fastenzeiten an und richtete neue heilige Handlungen[, die Verehrung von Heiligen] und Ordnungen ein – nur, weil die Urheber solcher Dinge davon überzeugt waren, dass sie sich mit diesen Werken Gnade verdienen können. 38Auf diese Weise ist auch früher die Zahl der Bußgesetze angewachsen; ihre Spuren sehen wir noch heute in den Werken der Genugtuung, die den Beichtenden auferlegt werden. 39Ebenso verletzen die Urheber von Traditionen Gottes Gebot dadurch, dass sie bestimmte Speisen, Zeiten und Ähnliches mit Sünde in Verbindung bringen. Sie belasten die Kirche mit einer Gesetzes-Knechtschaft und tun dabei so, als müssten die Christen sich mit einer Art levitischem Kult die Rechtfertigung verdienen und als hätte Gott den Aposteln und Bischöfen aufgetragen, solchen Kult einzurichten. 40Einige haben sich schriftlich entsprechend geäußert. Auch scheinen Päpste teilweise durch das Vorbild des Mose-Gesetzes auf falsche Gedanken gekommen zu sein. 41Folgende Belastungen sind daraus hervorgegangen: Es sei eine Todsünde, an Feiertagen mit den Händen zu arbeiten, selbst wenn anderen dadurch kein Glaubenshindernis entsteht. Bestimmte Speisen verunreinigten das Gewissen. Fasten nicht aus natürlichen, sondern aus Reue-Gründen sei ein Werk, das mit Gott versöhnt. Es sei eine Todsünde, vom kanonischen Recht gebotene Stundengebete zu versäumen. Wenn eine Sünde in der Beichte behalten worden sei, könne sie nur mit der Vollmacht dessen vergeben werden, der den Bindeschlüssel verhängt hat – dabei bezieht sich die entsprechende Verfügung im kanonischen Recht nicht auf das Sünden-Behalten, sondern auf verhängte kirchliche Strafen.

42Woher sollen denn die Bischöfe das Recht haben, den Gemeinden solche Traditionen aufzulegen und damit den Gewissen Fallen zu stellen? Petrus verbietet doch, den Jüngern ein Joch aufzulegen (Apostelgesch. 15,10), und Paulus sagt, dass ihnen die apostolische Macht zum Auferbauen gegeben ist, nicht zum Zerstören (2. Kor. 10,8). Warum vermehren sie die Menge der Sünden durch solche Traditionen? 43Es gibt klare Zeugnisse dafür, dass man keine Traditionen begründen darf, um sich mit Gott zu versöhnen, und dass man sie auch nicht als heilsnotwendig hinstellen darf. 44Paulus sagt in Kolosser 2: „So lasst euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank oder wegen eines bestimmten Feiertages, Neumondes oder Sabbats. [Das alles ist nur ein Schatten des Zukünftigen; leibhaftig aber ist es in Christus.]“ 45Und weiter: „Wenn ihr nun mit Christus den Mächten der Welt gestorben seid, was lasst ihr euch dann Satzungen auferlegen, als lebtet ihr noch in dieser Welt: Du sollst das nicht anfassen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren? Das alles soll doch verbraucht und verzehrt werden. Es sind Gebote und Lehren von Menschen, die nur einen Schein von Weisheit haben…“ (Kol. 2,16.17.20-23) 46Und an Titus schreibt er: „Achtet nicht auf die jüdischen Fabeln und die Gebote von Menschen, die sich von der Wahrheit abwenden“ (Titus 1,14). 47Christus sagt in Matthäus 15 über die, die Traditionen einfordern: „Lasst sie, sie sind blinde Blindenführer!“ (Matth. 15,14). 48Er missbilligt solche kultischen Handlungen mit den Worten: „Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgerissen“ (Matth. 15,13). 49Wenn Bischöfe das Recht hätten, mit bestimmten Traditionen die Gewissen zu belasten, warum verbietet es dann die Schrift, zahlreiche Traditionen zu begründen? Warum nennt sie sie dann „teuflische Lehren“ (1. Tim. 4,1)? Sollte der Heilige Geist umsonst davor gewarnt haben?

50Es bleibt übrig festzuhalten: Wenn Ordnungen als angeblich heilsnotwendig eingesetzt worden sind oder mit der Absicht, dass man durch sie vor Gott gerechtfertigt werden kann, dann stehen sie dem Evangelium entgegen. Weil das so ist, dürfen Bischöfe solche Formen der Gottesverehrung weder einsetzen noch verbindlich fordern. 51Vielmehr muss in den Gemeinden die Lehre von der christlichen Freiheit beibehalten werden. Sie besagt, dass der Knechtsdienst des Gesetzes nicht notwendig ist für die Rechtfertigung. Im Galaterbrief steht: 52„[Zur Freiheit hat uns Christus befreit; so steht nun fest.] Lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen“ (Gal. 5,1). Der Hauptartikel des Evangeliums muss gewahrt bleiben: Wir erlangen Gnade durch den Glauben an Christus, nicht durch Einhaltung bestimmter Vorschriften oder durch Werke der Gottesverehrung, die von Menschen eingesetzt worden sind.

53Was soll man aber nun vom Sonntag halten und von ähnlichen kultischen Gebräuchen? Wir antworten darauf folgendermaßen: Die Bischöfe bzw. Hirten dürfen Ordnungen aufstellen, damit es in der Kirche ordentlich zugeht, aber nicht, damit man durch diese Ordnungen Genugtuung für Sünden erlangt. Auch darf niemand gewissensmäßig verpflichtet werden zu glauben, dass es sich dabei um heilsnotwendige Werke der Gottesverehrung handelt. [Auch soll niemand verpflichtet werden zu meinen, er täte Sünde, wenn er diese Ordnungen bricht, sofern dabei niemandem ein Glaubenshindernis entsteht.] 54So hat Paulus beispielsweise angeordnet, dass Frauen sich in der gottesdienstlichen Versammlung verschleiern sollen oder dass Ausleger von Zungenrede in der Kirche der Reihe nach zu Gehör kommen sollen (vgl. 1. Kor. 11,5-6; 1. Kor. 14,26-33). 55Insofern ist es recht und billig, wenn Gemeinden solche Ordnungen um der Liebe und des Friedens willen einhalten, damit niemand einem anderen zum Glaubenshindernis wird und alles ordentlich und ohne Unruhe vonstatten gehen kann. 56Das muss allerdings so geschehen, dass keine Gewissen belastet werden; auch darf man nicht meinen, die Ordnungen seien heilsnotwendig, oder urteilen, man sündige, wenn man sie verletzt, selbst wenn anderen dadurch kein Glaubenshindernis entsteht. So hat zum Beispiel nie jemand behauptet, dass eine Frau sündigt, wenn sie unverschleiert ohne Anstoß zu erregen in die Öffentlichkeit tritt. 57Ebenso verhält es sich mit der Beachtung von Sonntagen, Ostern, Pfingsten und ähnlichen Feiertagen sowie kultischer Handlungen. 58Es ist nämlich falsch zu meinen, die Sonntagsheiligung sei kraft kirchlicher Autorität verbindlich an die Stelle des Sabbats getreten. 59Es ist die Heilige Schrift, die den Sabbat abgeschafft hat, nicht die Kirche. Denn weil nun das Evangelium offenbar geworden ist, können alle Zeremonialgesetze des Mose unterbleiben. 60Allerdings war es nötig, einen bestimmten Tag festzulegen, damit das Kirchenvolk weiß, wann es sich versammeln soll. Darum hat die Kirche den Sonntag festgelegt, wie man weiß. Der Sonntag hat sich wohl auch deswegen besonders angeboten, weil die Leute damit ein Beispiel für christliche Freiheit erhielten und die Erkenntnis gewannen, dass weder die Einhaltung des Sabbats noch eines anderen bestimmten Tages heilsnotwendig ist.

61Merkwürdige Debatten werden geführt über die Veränderung des Gesetzes, über neutestamentliche Handlungen der Gottesverehrung, über die Verlegung des Sabbats… Sie alle entspringen der falschen Meinung, es müsse in der Kirche eine Art levitischen Kult geben, und ebenso der falschen Meinung, als habe Christus von den Aposteln und Bischöfen erwartet, sich neue heilsnotwendige Formen der Gottesverehrung auszudenken. 62Diese Irrtümer haben sich nur deswegen in der Kirche eingeschlichen, weil die Glaubensgerechtigkeit nicht genügend klar gelehrt wurde. 63Manche argumentieren, die Sonntagsheiligung sei zwar nicht eigentlich göttlichen Rechts, aber doch praktisch dem göttlichen Recht gleichgestellt, und machen Vorschriften, wieviel an Feiertagen gearbeitet werden darf. 64Was aber sind solcherart Debatten anderes als Gewissensfallen? Auch wenn man versucht, die Traditionen abzumildern, so kann doch niemals ein rechtes Maß gefunden werden, solange man an ihrer Heilsnotwendigkeit festhält. Die Meinung über die Heilsnotwendigkeit aber wird sich nicht ändern, wo man die Glaubensgerechtigkeit und die christliche Freiheit ignoriert. 65Einst geboten die Apostel, sich von Blut [und Ersticktem] zu enthalten (Apostelgesch. 15,20.29). Wer hält sich heute noch daran? Aber es sündigt niemand, der sich nicht daran hält. Die Apostel selbst wollten nämlich keineswegs die Gewissen mit so einem Knechtsdienst belasten, sondern erließen nur ein zeitgebundenes Verbot, um Ärgernis zu vermeiden. 66Der Geist des Evangeliums muss ja bei so einer Verfügung stets mitbedacht werden. [Man muss in dieser Satzung Acht haben auf das Hauptstück der christlichen Lehre, das durch dieses Dekret nicht aufgehoben wird.]

67Kaum irgendwelche kanonischen Gesetze werden genau befolgt, und täglich fallen viele weg – auch bei denen, die die Traditionen hochhalten. 68Aber die Gewissen können nur dann guten Rat finden, wenn die Traditionen mit dem rechten Augenmaß befolgt werden – nämlich im Wissen darum, dass man sie nicht für heilsnotwendig halten darf und dass es gewissensmäßig unbedenklich ist, wenn Menschen sie abgewandelt befolgen. 69Die Bischöfe könnten leicht einen legitimen Gehorsam aufrechterhalten, wenn sie nicht auf der Befolgung von solchen Traditionen bestünden, die nur mit schlechtem Gewissen eingehalten werden können. 70Nun aber [verbieten sie beiderlei Gestalt des heiligen Sakraments,] fordern sie den Zölibat und nehmen auch nur solche in den Priesterstand auf, die schwören, dass sie nicht die reine Lehre des Evangeliums verkündigen wollen. 71Wir verlangen ja gar nicht, dass die Bischöfe ihre Ehre verlieren sollen, wenn sie die Einheit wiederherstellen – obgleich das guten Hirten [im Notfall] durchaus gut zu Gesicht stünde. 72Wir verlangen lediglich, dass sie die ungerechtfertigten Belastungen aufheben, die neu sind und ohne Rücksicht auf die Tradition der allgemeinen Kirche eingeführt wurden. 73Möglicherweise gab es ursprünglich akzeptable Gründe für solche Satzungen, aber sie passen nicht in die späteren Zeiten. 74Bei einigen ist auch offensichtlich, dass ihre Einführung ein Irrtum war. Aus diesem Grund sollten die Bischöfe sich jetzt nachgiebig zeigen und solche Satzungen abmildern; so eine Reform belastet keineswegs die Einheit der Kirche. Viele menschliche Traditionen sind ja im Lauf der Zeit geändert worden, wie selbst das kanonische Recht beweist. 75Falls aber Vorschriften, die nur mit Sünde befolgt werden können, nicht gelockert werden, müssen wir der apostolischen Richtlinie folgen: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgesch. 5,29).

76Petrus verbietet den Bischöfen zu herrschen und auf die Gemeinden Druck auszuüben (vgl. 1. Petrus 5,3). 77Nun betreiben wir keineswegs die Entmachtung der Bischöfe, sondern verlangen lediglich dies Eine, dass sie die reine Evangeliumsverkündigung dulden und die Einhaltung der wenigen Vorschriften lockern, die man nicht ohne Sünde befolgen kann. 78Falls sie das aber nicht tun, dann sollen sie sehen, wie sie es vor Gott verantworten können, dass sie durch ihre Sturheit eine Kirchenspaltung verursacht haben[, die sie doch eigentlich verhüten helfen sollten].

Schluss

1Wir haben hier die wichtigsten der Artikel betrachtet, die offensichtlich strittig sind. Man könnte durchaus noch mehr Missstände nennen, aber um Weitschweifigkeit zu vermeiden, haben wir uns auf das Wichtigste beschränkt. 2Es hat nämlich auch viel Streit gegeben um Ablässe, Wallfahrten und ungerechtfertigten Ausschluss. Die Pfarrbezirke hatten sehr unter Wanderpredigern zu leiden. Nicht enden wollende Spannungen bestanden zwischen Pastoren und Mönchen über pfarramtliches Recht, Beichte-Hören, Beerdigungen und unzählige andere Dinge. 3Dies alles haben wir hier aber nicht behandelt, damit das, was wirklich wichtig ist, in aller Kürze leicht erfasst werden kann. 4Was wir hier gesagt und zusammengetragen haben, will auch niemanden in irgendeiner Weise beleidigen. 5Lediglich das haben wir vorgebracht, was uns nötig erschien, damit verständlich wird: Es gibt bei unserem Lehren und Handeln nichts, was der Heiligen Schrift oder der allgemeinen Kirche widerspricht. Es ist ganz offensichtlich: Wir haben uns sehr sorgsam davor gehütet, dass sich keine neuen gottlosen Lehren in unseren Gemeinden einschleichen.

6Die voranstehenden Artikel wollten wir entsprechend des Erlasses eurer kaiserlichen Majestät vorstellen. Mit ihnen haben wir unser Bekenntnis dargelegt. Auch kann man aus ihnen die grundlegende Lehre derer ersehen, die bei uns verkündigen. 7Sollte etwas in diesem Bekenntnis zu wünschen übrig bleiben, sind wir bereit, nach Gottes Willen weitere schriftgemäße Informationen darzulegen.

Eurer kaiserlichen Majestät treu und ergeben:

Johann, Herzog zu Sachsen, Kurfürst

Georg, Markgraf zu Brandenburg

Ernst [Herzog zu Lüneburg] mit eigener Hand

Philipp, Landgraf zu Hessen

Johann Friedrich, Herzog zu Sachsen

Franz, Herzog zu Lüneburg

Wolfgang, Fürst zu Anhalt

Bürgermeister und Rat zu Nürnberg

[Bürgermeister und] Rat zu Reutlingen

Die Übersetzung aus dem Lateinischen und die Übertragung ins heutige

Deutsch besorgte Matthias Krieser.

Quelle: Sola gratia Verlag https://www.sola-gratia-verlag.de