Thema: Kirche und Macht!
Passt das zusammen?
Jesus hat auf Macht verzichtet, obwohl er alle Macht im Himmel und auf der Erde hatte. Wenn nun Menschen innerhalb der Kirche Macht haben, sind sie damit schon vom Weg Jesu abgekommen? Oder ist auch innerhalb der Kirche Macht notwendig, und wenn Ja, welches sind die Kriterien für den richtigen Umgang damit?
Es geht mir nicht darum, das Thema abschließend zu behandeln, sondern ich möchte mit einigen Gedanken zum Weiterdenken anregen.
Aufgrund langjähriger Beobachtungen habe ich den Eindruck gewonnen, dass viele Vertreter aus Kirchen und Gemeinden und viele Christen ein gestörtes Verhältnis zur Macht haben.
Einerseits halten sie es für etwas „Schmutziges“, Weltliches, und andererseits wollen sie wie alle Menschen möglichst viel davon haben. Die Folge davon ist, dass die Ausübung von Macht häufig subtil, unterschwellig und nicht transparent verläuft und zu vielfältigem Missbrauch führt. Beim Machtmissbrauch geht es nicht nur um die aktuell viel diskutierte sexualisierte Gewalt, sondern zum Beispiel auch um psychische Gewalt, Mobbing oder strukturelle Gewalt, durch die Vorgesetzte ihre eigene Macht oder die ihnen nahestehenden Gruppen erhalten und auszuweiten versuchen. Die Ursache für den Machtmissbrauch liegt meines Erachtens zum einen in der menschlichen Natur und zum anderen in der fehlenden Auseinandersetzung mit einem positiven Verständnis von Macht und Führung. Unter dem Motto „Wir haben uns alle lieb und reden und entscheiden über alles gemeinsam“ wird oberflächlich Macht und Leitung abgelehnt, unterhalb der Oberfläche aber nach Macht gestrebt und ausgeübt. So gibt es in vielen Gemeinden informelle Leitungsstrukturen, in der die, die stärker und lauter auftreten oder längere und vielfältigere Beziehungen in der Gemeinde haben, mehr über die Richtung einer Gemeinde entscheiden als die eigentlichen dafür gewählten und eingesetzten Entscheidungs- und Verantwortungsträger. Die Verweigerung von Leitung und Macht löst dieses Problem nicht, sondern verstärkt es nur.
Die Frage stellt sich nun, welches positive Verständnis von Macht es geben kann und auf welche Weise Macht ausgeübt werden kann und soll.
Schauen wir zunächst einmal auf einige biblische Aussagen zu diesem Thema:
Über Jesus wird in Philipper 2, 6-8 gesagt, dass er auf alle Macht im Himmel und auf der Erde verzichtet hat.
Paulus beschreibt in wenigen Versen, was wir in der ganzen Passionsgeschichte lesen können, wie Jesus gegenüber den führenden Juden, gegenüber Herodes und Pilatus auf die Durchsetzung seiner Macht verzichtet. In Philipper 2, 9-11 beschreibt Paulus dann, dass Gott ihm alle Macht im Himmel und auf der Erde gibt, so wie Jesus es von sich selbst in Matthäus 28, 18 sagt. Und zu seinen Jüngern sagt Jesus in Matthäus 23, 11: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein.“
Auf der anderen Seite erleben wir Jesus, wie er seine Macht gebraucht,
zum Beispiel in den Wundern, in der Austreibung böser Geister, in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern oder in den Anweisungen an seine Jünger. In der Apostelgeschichte gebrauchen auch die Apostel ihre von Gott gegebene Macht, um Kranke zu heilen und Tote zu erwecken. Ebenso sehen wir die Ausübung von Macht im sogenannten „Apostelkonzil“ in Apostelgeschichte 15, und in den Briefen sind schon erste Leitungs- und Machtstrukturen innerhalb der Gemeinden zu erkennen. Jesus erkennt die Macht der weltlichen Obrigkeit an, wenn er in Matthäus 22, 21 sagt: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Und Paulus sieht in Römer 13, 1 die weltliche Obrigkeit als von Gott gegeben an.
Im Laufe der Kirchengeschichte
gibt es viele Beispiele, in denen im biblischen Sinn Macht gebraucht oder darauf verzichtet wurde, zum Beispiel in den ersten Jahrhunderten, in Erneuerungsbewegungen wie zum Beispiel in Ordensgründungen oder anderen Reformbewegungen. Und auch viele Missionare haben lieber ihr Leben gewagt als auf weltliche Macht zu setzen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch unzählige Beispiele, in denen Macht missbraucht wurde, sich die kirchliche Macht über die weltliche Macht stellte oder mit Macht und Gewalt versucht wurde, Menschen zu Christen zu machen oder, besser gesagt, den Einflussbereich der Kirche zu vergrößern. Ein negativer Wendepunkt stellt meines Erachtens die „Konstantinische Wende“ dar, als das Christentum Staatsreligion im römischen Reich wurde. Das Zusammenfügen von christlicher Lehrmeinung und weltlicher Macht führte zu Glaubenskriegen, Hexenverbrennungen und Unterdrückung Andersdenkender.
Auch im innerkirchlichen Bereich gab es zu allen Jahrhunderten bis heute neben zahlreichem Machtmissbrauch auch immer wieder Beispiele für Machtverzicht oder die Ausübung von Macht im biblischen Sinn. Zum Machtmissbrauch gehört neben der sexualisierten Gewalt auch der Gewissensdruck, sich dem innerkirchlichen Mainstream moralischer Überzeugungen oder kirchlicher Gewohnheiten anzupassen oder zu unterwerfen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Macht ebenso wie das Geld eine große Versuchung darstellt, die erhaltene Macht für eigene Ziele zu missbrauchen und so dem Evangelium zu schaden.
Was bedeutet das nun für das Verständnis von Macht und deren Anwendung innerhalb der Kirche?
Ein Anhaltspunkt zur Klärung dieser Frage ist Luthers „Lehre von den zwei Reichen“,
das „Reich zur Rechten“ und das „Reich zur Linken“. Das „Reich zur Rechten“ ist für Luther das Reich Gottes. Es setzt sich zusammen aus Menschen, die in einer glaubenden Beziehung zum auferstandenen Jesus Christus leben, und wird bestimmt von Liebe, Vergebung, Gewalt- und Machtlosigkeit und allem anderen, was wir bei Jesus sehen und mit ihm erleben. Die einzige Macht ist das verkündigende und überzeugende Wort des Evangeliums. Das Reich Gottes kennt kein weltliches Machtgefüge und erstreckt sich über alle Konfessionsgrenzen hinweg. Luther bezeichnet es auch als die „unsichtbare Kirche“.
Das „Reich zur Linken“ ist die weltliche Realität, in der es Liebe und Hass, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit und alles, was sonst die Welt ausmacht, gibt. In diesem Bereich herrscht die weltliche Macht. Doch auch sie steht in der Verantwortung vor Gott und in seinem Dienst und soll ihre Macht im Sinne Gottes nutzen. Ihre Aufgabe ist es, das Böse zurückzuhalten, auch mit Gewalt, und das Gute zu fördern und alles dafürzutun, dass das Evangelium frei und unbedrängt verkündet und gelebt werden kann. Macht ist eine Gabe Gottes, die nie für eigene Zwecke, sondern immer im Dienst für die untergebenen Menschen gebraucht werden soll. In diesen Bereich gehört auch die organisierte Kirche mit ihrem Machtgefüge. Luther bezeichnet sie als die „sichtbare Kirche“. Kirchliche und weltliche Machthaber bekleiden beide in gleicher Weise geistliche Ämter, weil sie mit ihrem Amt im Dienste Gottes, in Verantwortung vor ihm und zum Wohl der ihnen anvertrauten Menschen dienen sollen. Macht ist also eine Gabe Gottes mit einer besonderen Verantwortung des Dienens.
Aus dem bisher Gesagten resultieren für mich einige Schlussfolgerungen:
1. Notwendig ist ein positives Verständnis vom Macht als Gabe Gottes.
Macht haben, bedeutet dienen, im Sinne Gottes zum Wohl der anvertrauten Menschen. Wer in der Kirche Macht hat, soll zuallererst dazu beitragen, dass das Evangelium frei und offen verkündigt werden kann, das Böse zurückgedrängt und das Gute gefördert wird. Jeglicher Machtmissbrauch verletzt diesen Auftrag Gottes.
2. Kirchliche Macht ist ausschließlich beschränkt auf die sichtbare, organisierte Kirche.
Es verbietet sich jeglicher Versuch, kirchliche Macht über andere zu stellen, auch nicht durch moralischen Gewissensdruck. So sind zum Beispiel Christen aus dem nichtkirchlichen Bereich, wenn es um Fragen der Gestaltung des Lebens, des Berufes oder der Gesellschaft geht, keine moralischen Befehlsempfänger kirchlicher Amtsträger, sondern sie sind Partner im gemeinsamen Ringen um richtige Antworten, denn ihre Funktion ist genauso geistlich wie die der kirchlichen Amtsträger.
3. Kirchliche Macht hat seine positive Rolle in der organisierten „sichtbaren“ Kirche.
So zu tun, als gäbe es kein Machtgefüge und als würden immer alle über alles gemeinsam entscheiden, ist nicht nur irreführend, sondern öffnet dem Machtmissbrauch, der subtilen Machtausübung und der Entstehung informeller Machtstrukturen Tor und Tür. Kirchliche Macht ist auf allen Ebenen eine Gabe Gottes, die als solche angenommen und im Sinne Gottes gelebt werden muss.
4. Kirchliche Macht muss transparent sein, damit für alle ersichtlich ist, wer in welchem Bereich Macht, Entscheidungsgewalt und Einfluss ausüben kann und darf.
Diese Macht darf nicht dem eigenen Ansehen oder den eigenen Interessen dienen oder Freunde und meinungskonforme Menschen bevorzugen.
5. Kirchliche Macht hat keine Funktion, wenn es um die „unsichtbare Kirche“ geht.
In geistlichen Fragen des Glaubens und des Verständnisses der Bibel sind alle Christen gleich „Priester“. Auch vermehrtes theologisches Wissen gibt in diesem Bereich kein Anrecht auf eine übergeordnete Position. In geistlichen Fragen des Glaubens stehen alle Christen auf einer Ebene und können sich gegenseitig durch Erkenntnisse der biblischen Botschaft und Erfahrungen im Glauben gleichwertig bereichern. Statt Überlegenheitsdenken ist es wichtig, sich gegenseitig als gleichwertig ernst zu nehmen. Macht gibt es in diesem Bereich allein durch das überzeugende Wort der biblischen Botschaft.
6. Wenn es um Macht geht dürfen die „sichtbare Kirche“ und die unsichtbare Kirche“ nicht vermischt werden.
In der „unsichtbaren Kirche“ herrschen Liebe, Vergebung und alles, was wir bei Jesus sehen. Hier geht es um gegenseitige Vergebung von Schuld, Ermutigung und Aufbau im Glauben. Die einzige Macht, die gebraucht werden kann, ist die Macht des Wortes. In der „sichtbaren Kirche“ geht es um Regeln und Ordnung. Amtsträger müssen dafür sorgen, dass Regeln und Ordnungen eingehalten werden und eventuell Strafen verhängen. Auf er einen Seite darf die Macht in der „sichtbaren Kirche“ nicht genutzt werden, um Einfluss in der „unsichtbaren Kirche“ zu nehmen, und auf der anderen Seite darf man von der „sichtbaren Kirche“ nicht erwarten, dass sie nach der Art Jesu auf Macht verzichtet und Fehlverhalten aus Liebe vergibt, denn das führt wie oft zur Verschleierung von Fehlverhalten.
Ein paar Bibelstellen zum Thema zum Nachlesen:
Matthäus 28, 18
Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Markus 6, 6b – 9
Und er rief die Zwölf zu sich und fing an, sie auszusenden je zwei und zwei, und gab ihnen Macht über die unreinen Geister 8 und gebot ihnen, nichts mitzunehmen auf den Weg als allein einen Stab, kein Brot, keine Tasche, kein Geld im Gürtel, 9 wohl aber Schuhe, und nicht zwei Hemden anzuziehen.
Apostelgeschichte 5, 27-29
27 Und sie brachten sie und stellten sie vor den Hohen Rat. Und der Hohepriester fragte sie 28 und sprach: Haben wir euch nicht streng geboten, in diesem Namen nicht zu lehren? Und seht, ihr habt Jerusalem erfüllt mit eurer Lehre und wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen. 29 Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Römer 13, 1-7
Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. 2 Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu. 3 Denn vor denen, die Gewalt haben, muß man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten. 4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut. 5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. 6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. 7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.
Philipper 2, 5-11
5 Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
1. Petrus 2, 13-15
13 Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Obersten 14 oder den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt sind zur Bestrafung der Übeltäter und zum Lob derer, die Gutes tun. 15 Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit guten Taten den unwissenden und törichten Menschen das Maul stopft.