Predigt zu Hebräer 10, 19-25 am 2. Advent
Vor einiger Zeit habe ich einen Bericht gesehen über einen lebenslänglichen Strafgefangenen.
Es war nicht klar, ob er jemals wieder aus dem Gefängnis herauskommen würde. Der Mann hatte sich damit abgefunden. Für mich wäre es ein unvorstellbarer Gedanke, ein Leben lang hinter Mauern und Stahlgittern, bewacht von Gefängniswärtern und Sicherungsanlagen und ohne die Möglichkeit, sein Leben in Freiheit selber zu bestimmen und zu gestalten. Worauf könnte der Mann sich noch freuen, richtig begeistert sein: vielleicht besseres Essen, einen Freund im Gefängnis, ab und zu einen Besuch? Aber alles worüber er sich freuen und worauf er hoffen könnte, würde sich innerhalb des Gefängnisses abspielen, es sei denn, er würde die Nachricht bekommen: Du bist begnadigt worden und kannst demnächst freikommen. Diese Nachricht würde sein Gefängnisdasein verändern. Auch wenn er noch einige Zeit im Gefängnis bleiben müsste, die Freude über die Freiheit würde alles bestimmen, und er würde alles tun, um sich die bevorstehende Freiheit nicht noch zu verscherzen.
Was kann Sie noch richtig begeistern, vom Hocker oder der Kirchenbank reißen: ein großer Gewinn, eine große Reise, die Nachricht, dass die befürchtete schwere Krankheit nicht bösartig ist, oder die Nachricht, dass Sie aus Ihrem „Gefängnis“ befreit werden?
Ja, wir leben in einem „Gefängnis“,
aber manchmal denke ich, wir haben uns viel zu sehr damit abgefunden, uns eingerichtet und können uns die Freiheit gar nicht mehr vorstellen.
Unser „Gefängnis“ ist die Vergänglichkeit.
Es ist nicht nur der Tod, der uns am Ende des Lebens unsere Vergänglichkeit zeigt, sondern auch schon mittendrin im Leben zeigt sich die Vergänglichkeit überall, zum Beispiel in der Abnahme unserer physischen Fähigkeiten, in der Begrenztheit und Unvollkommenheit unserer Gedanken und Taten und in der Zerbrechlichkeit unserer Beziehungen, unseres Glückes und unserer Fähigkeit zur Liebe. Die Vergänglichkeit umgibt uns überall wie feste unüberwindliche Mauern und Stahlgitter. Und alles, was uns noch begeistern kann und worauf wir hoffen können, sind Dinge innerhalb dieses „Gefängnisses“ der Vergänglichkeit.
Aber nun kommt die Nachricht zu uns: Wir sind begnadigt worden, wir werden freikommen, um dann in ewiger Freiheit von diesem Gefängnis zu leben. Ist diese Botschaft dazu geeignet, unser Leben zu verändern?
Wir lesen dazu die ersten Verse unseres Predigttextes aus Hebräer 10, 19-21:
19 Weil wir denn nun, Brüder und Schwestern, durch das Blut Jesu den Freimut haben zum Eingang in das Heiligtum, 20 den er uns eröffnet hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch sein Fleisch, 21 und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes.
Der Schreiber des Hebräerbriefes hat den Tempel in Jerusalem vor Augen:
Dort gab es einen Tempelvorhof, den alle Menschen betreten durften. Dann kam der Tempelhof für die gläubigen Juden, wo auch geopfert wurde, denn sie durften sich Gott nur durch Opfer annähern. Und dann gab es noch, abgetrennt durch einen großen Vorhang, das Allerheiligste, das nur der Hohepriester betreten durfte. Er war der Mittler zwischen dem Volk und Gott und hatte den direktesten Zugang zu Gott. Wenn wir es mit dem Bild vom „Gefängnis“ ausdrücken wollen, kann man sagen, dass für die Juden der Opferkult mit dem Hohenpriester das Fenster aus dem Gefängnis heraus zu Gott war.
Die Botschaft des Hebräerbriefes lautet: Christus hat durch sein Leben, besonders dadurch, dass er sein Leben geopfert hat, alle anderen Opfer überflüssig gemacht und den Zugang zu Gott, zur Ewigkeit für alle ermöglicht. Die Tür aus dem Gefängnis ist offen und alle können hinaus.
So kann man das Lied „Macht hoch die Tür“ so umdichten: „Die Tür ist hoch, das Tor ist weit, geht ein zum Herrn der Herrlichkeit“. Die offene Tür zur Ewigkeit können wir schon jetzt im Leben erfahren durch das Wort Gottes, durch die Gemeinschaft mit Gott im Gebet und durch Jesu Gegenwart in uns durch seinen Heiligen Geist. Und dann können wir im Sterben sagen: „Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben.“
Den Schreiber des Hebräerbriefes bewegt eine Frage: Was müssen wir tun, damit wir den Zugang zur Ewigkeit nicht verpassen, die Freiheit nicht verspielen.
Wir lesen dazu aus Hebräer 10 die Verse 22-25:
22 so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in der Fülle des Glaubens, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser. 23 Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; 24 und lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken 25 und nicht verlassen unsre Versammlung, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das umso mehr, als ihr seht, dass sich der Tag naht.
Lasst uns!
Es ist wie ein Anfeuerungsruf, eine Aufmunterung, ein Wachrütteln, wie zum Beispiel im Mannschaftssport, wenn man sich gegenseitig ermuntert, noch einmal alle Kräfte für ein Ziel zu motivieren, oder wenn man sonst gemeinsam ein Ziel erreichen will.
Drei Mal kommt dieser Anfeuerungsruf!
1. Lasst uns hingehen und die Gemeinschaft mit Gott suchen!
Lasst uns dabei eifrig sein, zum Beispiel durch das Gebet und die Beschäftigung mit der Bibel, dem Wort Gottes, indem wir mit ehrlichem und ganzem Herzen alles das beiseitelassen und nicht mehr tun, was uns von Gott trennt, sondern indem wir voll darauf vertrauen, dass das, was Gott uns sagt und gibt, wahr und gut für uns ist und uns ein neues Leben gibt, das nicht vom „Gefängnis“ bestimmt ist, sondern von der neuen Freiheit, der Ewigkeit und der Freude darauf.
2. Lasst uns an diesem Bekenntnis festhalten!
Lasst uns festhalten an Jesus Christus! Er lebt! Er ist unser Herr und Retter. Nur er bringt uns in die Ewigkeit. Und die ist uns verheißen. Er hält, was er verspricht. Lasst uns daran festhalten! Manchmal wird gesagt: Irgendwie glauben wir ja alle oder jeder hat seinen Glauben. Das klingt sehr modern, aber es bringt uns nicht weiter. Nur wenn wir an Jesus Christus und seinem Wort festhalten, öffnen sich für uns die „Gefängnistüren“, und wir kommen in die Ewigkeit.
Deshalb auch die dritte Aufforderung:
3. Lasst uns aufeinander achtgeben, dass auch alle ankommen!
Wenn man zum Beispiel mit einer Gruppe einen Ausflug im Bus macht, dann wird nach jedem Stopp gefragt, ob alle wieder anwesend sind, und alle überprüfen, ob ihnen jemand auffällt, der nicht wieder im Bus sitzt. Wenn einer fehlt, wird gewartet und gesucht, bis alle da sind.
So sollen wir, wenn es um den Weg in die Freiheit, zur Ewigkeit geht, uns in Liebe umeinander kümmern,
dass jeder ermutigt wird, an Gottes Wort festzuhalten und seien Willen zu tun. Wir sollen aufeinander achtgeben, denn Christsein ist kein „Einzelsport“, sondern „Mannschaftssport“, wo alle sich gegenseitig helfen, ermutigen und anfeuern, das Ziel zu erreichen.
Zu diesen drei Punkten, die der Schreiber des Hebräerbriefes hier nennt, gibt es nichts hinzuzufügen. Wir müssen es nur tun. Darum: Lasst es uns tun, damit wir in die Freiheit kommen und das Ziel der Ewigkeit erreichen.