Predigt zu Jesaja 63, 15 – 64, 3 am 2. Advent

Ein kurzer Rückblick

Bevor wir uns damit beschäftigen, inwiefern dieser Abschnitt für uns aktuell ist, und ich halte ihn für sehr aktuell, möchte ich Sie in die Zeit entführen, in der er geschrieben wurde. Das war etwa zwischen 530 und 550 vor Christi Geburt. Einige Jahrzehnte vorher war der Staat Juda von den Babyloniern erobert worden. Gott hatte    das Volk immer wieder durch die Propheten gewarnt: Sie sollten treu bei ihm bleiben, aber sie hörten nicht darauf. Und so passierte das Unheil. Die Babylonier zerstörten den Tempel, machten die Stadt dem Erdboden gleich, und die ganze Führungsschicht des Volkes wurde nach Babylonien entführt. Die Menschen litten nicht nur unter der Unterdrückung, sondern sie hatten große Probleme mit ihrem Glauben: Wo war Gott? warum hatte er ihnen nicht geholfen? Die anderen spotteten über sie und ihren Glauben. Hatte Gott sie vergessen?

Jesaja 63, 15 – 64, 3

15 HERR, sieh herab von deinem Himmel, wo du in Heiligkeit und Hoheit thronst! Wo ist deine brennende Liebe zu uns? Wo ist deine unvergleichliche Macht? Hast du kein Erbarmen mehr mit uns? Wir spüren nichts davon, dass du uns liebst! 16 HERR, du bist doch unser Vater! Abraham weiß nichts von uns, auch Jakob kennt uns nicht; unsere Stammväter können uns nicht helfen. Aber du, HERR, bist unser wahrer Vater! »Unser Befreier seit Urzeiten« – das ist dein Name. 17 Warum hast du zugelassen, dass wir von deinem Weg abwichen? Warum hast du uns so starrsinnig gemacht, dass wir dir nicht mehr gehorchten? Wende dich uns wieder zu! Wir sind doch deine Diener, wir sind doch das Volk, das dir gehört! 18 Es war nur für eine kurze Zeit, dass wir das Land besitzen durften; nun ist dein Heiligtum von den Feinden entweiht. 19 Es ist, als wärst du nie unser Herrscher gewesen und als wären wir nicht das Volk, das du zu deinem Eigentum erklärt hast. Reiß doch den Himmel auf und komm herab, dass die Berge vor dir erbeben!
64 1 Komm plötzlich, komm mit großer Macht, wie die Flammen trockenes Reisig ergreifen und das Wasser im Kessel zum Sieden bringen! Deine Feinde sollen erfahren, wer du bist; die Völker sollen vor Angst vergehen. 2 Vollbringe Taten, die uns staunen lassen und noch unsere kühnste Erwartung übertreffen! Komm herab, dass die Berge vor dir erbeben! 3 Noch nie hat man von einem Gott gehört, der mit dir zu vergleichen wäre; noch nie hat jemand einen Gott gesehen, der so gewaltige Dinge tut für alle, die auf ihn hoffen.

Der Beter klagt: Gott, wir spüren nichts von deiner Macht und Liebe.

Und es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man sich nach Gottes Liebe sehnt und das Gefühl hat: Gott hat sich zurückgezogen.

Wo spüren wir Gottes Liebe und Macht

in unserem Leben, in unseren Gottesdiensten und Veranstaltungen, oder wenn wir das Gemeindehaus betreten. Der Gottesdienst bekommt seine Kraft nicht dadurch, dass der Pastor sich Mühe gegeben hat, sondern dass wir Gottes Nähe suchen und spüren und dadurch mit neuer Kraft nach Hause gehen können. Das Gemeindeleben bekommt seine Lebendigkeit nicht durch unsere Aktivitäten, sondern dass wir merken: Da ist Gott selbst am Wirken. Und in unserem eigenen Leben erfahren wir Gott nicht durch unsere Kraftanstrengung und Disziplin, sondern indem wir uns öffnen für sein Wirken durch seinen Heiligen Geist.

Manchmal denke ich, wir haben uns an den Zustand der Glaubensarmut gewöhnt und meinen, das müsste so sein.

Es ist so, als wenn Menschen in der Wüste meinen, die spärlichen Oasen seien die fruchtbarsten Landschaften, die es gibt; oder wenn Menschen in der norddeutschen Ebene glauben, es gäbe keine höheren Berge als die Deiche oder Müllberge. So tun wir alles Mögliche, feiern, ärgern und freuen uns, und gehen an der sprudelnden lebendigen Quelle des Glaubens vorbei. So ging es auch vielen Israeliten in der Gefangenschaft, aber es gab auch Menschen, die wussten: Mit Gott kann man noch viel mehr erleben.
Sie haben sicher schon einmal Berichte gehört von Gemeinden oder Gottesdiensten aus anderen Ländern, wo das innere Feuer Gottes zu spüren war.

Und so fragt der Beter: Gott, warum hast du das zugelassen, dass wir vom Weg abgekommen sind.

Gilt das auch für uns? Sind wir vom Weg abgekommen, als Christen, als Kirche?

In meiner Jugendzeit fragten viele Christen: Warum geht es uns so gut, obwohl wir als Volk so schwer gesündigt haben. Und einige sagten: Vielleicht ist der Wohlstand gerade die Strafe Gottes.

Ich finde es bedenklich, wenn es in unserer Kirche manchmal schon verdächtig ist,  zu viel von „Jesus” zu reden; wenn fremdreligiöse Praktiken in unsere Gemeindehäuser einziehen; wenn das gemeinsame Gebet schon fast als sektiererisch gilt und wenn sich die rechtfertigen müssen, die sich mit der Bibel beschäftigen wollen. Ist das, wie ein Mann einmal zu mir sagte, der einen Kreis in einer Gemeinde besucht hatte „totes Luthertum”?

Und der Beter fragt weiter: Warum lässt du zu, dass andere Mächte uns beherrschen?

Dazu möchte man sagen: das ist bei uns nicht so. Unsere Kirche wird von Theologen, Juristen, Synodalen, Kirchenvorstehern bestimmt, wie es sich gehört. Aber was bestimmt uns wirklich in unserem Leben, in den Entscheidungen des Gemeindelebens? Ist Jesus unser Herr, wie es sich für eine christliche Kirche gehört, oder sind es häufig ganz andere Dinge, wie freundschaftliche Beziehungen, Gruppeninteressen oder irgendwelche moralischen Maßstäbe?

Brennt in unseren Herzen die Frage: Herr, was willst du, oder welche Frage bewegt uns bei unseren Entscheidungen?

Und so wie der Beter klagt, dass sein Volk am Boden zerstört ist, so können wir auch darüber klagen, dass die Kirche Jesu Christi bei uns am Boden liegt.
Scheint es nicht manchmal so, als wäre Gott nicht unser Herr? Was sehen andere Menschen, wenn sie uns sehen? Erkennen sie dann, dass Gott unser Herr ist, oder sehen sie in uns nur ein religiös oder sozial interessierten Verein oder einen Streithaufen?
Ich kann die Klage des Beters gut nachvollziehen für unsere Situation und möchte gerne oft einstimmen in das flehende Bitten: Gott tue doch etwas, greif doch ein, denn wir sind doch dein Volk, wir gehören doch zu dir, du bist unser Gott. Bewirke doch etwas unter uns, lass uns nicht ruhen, bis wir deine Nähe kraftvoller spüren.

Was können wir tun?

  1. Zur Besinnung kommen!

Adventszeit soll Besinnungszeit sein. Ich habe mal einen Mann erlebt, der nach einer schweren Krankheit sein Leben völlig veränderte und ihm eine ganze andere Richtung gab. Aber muss es uns erst schlecht gehen, damit wir anhalten und umkehren?

  1. Der Beter schließt mit einem Bekenntnis der eigenen Schuld und der Bitte um einen Neuanfang.

Erkennen wir, dass wir vom Weg Gottes angekommen sind, auch als Kirche. Durch Jesus wissen wir mehr als der Beter im Alten Testament! Gott will einen Neunanfang mit uns machen. Das ist die Botschaft von Advent und Weihnachten. In Jesus Christus haben wir die Möglichkeit zum Neuanfang, als Einzelne, als Gemeinde und als Kirche. Da ist sie und sonst nirgendwo. Wann begreifen wir das?

Gott ist uns in Jesus nahe gekommen, sucht uns, Haus für Haus, klopft bei uns an und möchte in unsere Herzen, um uns ganz nah zu Gott zu bringen, damit wir Gottes Liebe und Macht kraftvoll spüren.

  1. Und nun fordert der Wochenspruch dies Sonntags uns auf: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21,28)

Seht auf aus eurer Bequemlichkeit, die euch so träge macht; aus euren Gewohnheiten, die euch so selbstgefällig machen; aus euren Überzeugungen und Meinungen; aus eurer Schuld und eurem Versagen.

Seht auf, schaut hin, weil sich eure Erlösung naht. Die Erlösung ist, dass wir Gottes Gegenwart stärker spüren, merken welche Kraft das Gebet hat, gemeinsam in der Bibel nach Gottes Wort forschen, seine Vergebung erfahren und dass wir den Wind seines Heiligen Geistes spüren und er uns in Bewegung bringt.

„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung nah.“ Die gibt es nur, wenn wir Jesus Christus in unser Herz aufnehmen.

Es wäre schön für uns, wenn wir das auch in dieser Adventszeit wieder neu begreifen. Ich wünsche es uns.

Predigt zu Jesaja 63, 15 – 64, 3 am 2. Advent
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